Sven reißt die Arme in die Höhe, in jeder Hand ein buntes Tuch, flugbereit für den Schmetterlingstanz. Der Zweieinhalbjährige zieht seine Kreise auf dem blitzblauen Boden des hellen, geräumigen Turnsaals. Oder Bewegungsraum, wie dieser Bereich in Kindergärten heißt. Sofern sie über einen solchen verfügen.

2009 ist das Jahr des verpflichtenden Gratiskindergartens, in Niederösterreich dürfen seit Herbst 2008 auch Zweieinhalbjährige einen Kindergarten besuchen. Kurz: Es tut sich was auf dem Gebiet der Kleinkindpädagogik. Und dennoch: Schenkt man Fachleuten glauben, liegt im Kindergartenbereich hierzulande noch einiges im Argen. Stichwort Qualität: Diese sei bislang vor allem aus dem Blickwinkel der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch erweiterte Öffnungszeiten diskutiert worden, konstatiert Raphaela Keller vom Österreichischen Dachverband der Berufsgruppen der Kindergarten-und Hortpädagogen.

Heide Lex-Nalis von der Plattform Educare, einer Interessengemeinschaft für Elementarpädagogik, freut sich zwar über "begrüßenswerte Vorgaben" der Politik, kritisiert aber, dass die Qualitätsfrage zu kurz komme. Es entstehe der Eindruck, dass der "zweite Schritt vor dem ersten" gesetzt werde - Zeit für eine Qualitätsdebatte, die über die Frage der Öffnungszeiten hinaus geht.

Eine Pädagogin für 24 Kinder

Der Bewegungsraum ist dabei nur ein Kriterium im Bereich der Elementarbildung (umfasst Kinder von null bis sechs Jahren). Hinzu kommen neben der Gruppengröße und dem Personal-Kind-Schlüssel eine Reihe von personenbezogenen und ausbildungsabhängigen Faktoren, die die Qualität mitbestimmen.

Svens Mutter, Sonja Hornsteiner, ist trotz des neu gebauten Kindergartens, gelegen in einem Park der Wien-nahen Gemeinde Perchtoldsdorf, mit dem Standard der Einrichtung nur bedingt zufrieden: "Es ist schade, dass die Kindergärtnerinnen viel zu viel mit administrativen Dingen beschäftigt sind. Außerdem sind die Gruppen zu groß." Im konkreten Fall sind eine Pädagogin und eine Helferin für elf Kinder zuständig, ab Herbst wird auf 24 Kinder aufgestockt - bei gleichbleibendem Betreuungsstand. Eine Pädagogin für 24 Kinder ist in Österreich keine Seltenheit. Wäre Österreich Deutschland, stünde den Eltern bald ein Streik der Kindergärtnerinnen ins Haus (de facto ist der überwiegende Teil von ihnen weiblich). Aber während ihre deutschen Kolleginnen seit Wochen gegen schlechte Arbeitsbedingungen und für eine höhere Bezahlung auf die Straße gehen, formiert sich hierzulande der Widerstand nur zaghaft.

Vergangenen Donnerstag trafen sich an die 200 Kindergärtnerinnen zum "Flashmob" - eine Art "spontane" Kurzdemo - im Wiener Museumsquartier, um auf die unbefriedigende Situation von Betreuerinnen und Kindern hinzuweisen. Hätte man die Eltern mit an Bord, wäre die Lobby für die Politik wohl nicht mehr so leicht zu überhören. Raphaela Keller erklärt sich die mangelnde Unterstützung von Seiten der Erziehungsberechtigten mit fehlendem Problembewusstsein. Viele würden erst dann die Arbeitsbedingungen im Kindergarten hinterfragen, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen läuft . Zudem kämpfe man noch immer gegen das Image der spielenden, bastelnden und singenden "Tanten" an.

Fehlende Ausbildung

Diesen Befund teilt auch Michaela Hajszan, Kinderpsychiaterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung. Dabei gäbe es für die Eltern einige Gründe, für einen qualitativ höherwertigen Kindergarten zu kämpfen. Etwa was die Rahmenbedingungen anlangt: Laut internationalen wissenschaftlichen Empfehlungen sollte die Gruppengröße bei Drei- bis Sechsjährigen 20 Kinder nicht überschreiten, bei Null- bis Zweijährigen gilt der Richtwert acht bis zehn Kinder pro Gruppe - bei mindestens zwei Fachkräften und einer Hilfskraft. Anders als Dänemark, die Niederlande, Schweden, aber auch Großbritannien und Italien, liegt Österreich fernab dieser Zahlen. Neun verschiedene Ländergesetze lassen keine bundesweite Aussage zu.

Immerhin: Im Auftrag der Bundesländer arbeitet man derzeit an einem Bildungsrahmenplan. Eine Ausbildungsreform steht hingegen weiter an - Österreich ist neben Deutschland und Malta das einzige europäische Land ohne eine universitäre Kindergärtner-Ausbildung. Eine Neuerung gibt es doch: Ab Herbst gibt es an der Uni Graz auch den ersten Lehrstuhl für Frühkindpädagogik. (Karin Moser/DER STANDARD-Printausgabe, 27./28. Juni 2009)