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Außenminister Alois Mock (links) und sein ungarischer Kollege Gyula Horn zwickten am 27. Juni 1989 einen Weg in die Zukunft, die heute Gegenwart ist und als politisches Kleingeld ge- und behandelt wird.

Foto: APA/Jäger

St. Margarethen - Leicht findet man den Weg nicht. Wegweiser gibt's normalerweise keine. Im Burgenland fürchtet man sich vor allem dann vorm Transitverkehr, wenn er nach menschlichem Ermessen praktisch ausgeschlossen werden kann. So wie hier in St. Margarethen, wo die alte Ödenburger Straße über den Hügel nach Steinabrückl führt, nach Sopronköhída.

Nach der Schengen-Erweiterung 2007 wurde hier ein Fahrverbot verhängt. Erst seit Mai dieses Jahres dürfen Autos die Grenze queren. Und der Verdacht, dies sei wegen des gestrigen Freitags geschehen, ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen.

Zu peinlich wäre es gewesen, die zentrale Erinnerungsstätte ans Jahr 1989 mit dieser von den Ungarn als Schikane empfundenen Verordnung zu belasten. Denn am Freitag stand Feiern und Gedenken auf dem Programm, die Erinnerung an die großen Gefühle vor 20 Jahren, die bis heute einer politisch umsorgten Ernüchterung gewichen ist, welche von Wahlgang zu Wahlgang schärfere Konturen gewinnt.

Am Freitag war allerdings der Tag der Sonntagsreden. Bundespräsident Heinz Fischer und sein ungarischer Kollege László Sólyom beschworen die große Hoffnungszeit des Sommers vor 20 Jahren. Außenminister Michael Spindelegger tat es ihnen gleich, und auch Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl, der unlängst erst ein Aussetzen von Schengen andachte, wollte sich der Stimmung nicht entziehen. Zumal reichlich Trabis vorfuhren - mobile Kernpunkte zur Erinnerungs-Kristallisation.

Dass diese Erinnerung unscharf ist, tut nichts zur Sache. Wenn die Geschichte kreißt, gebiert sie Symbole, welche die Geschichten zur Geschichte mehr als nur illustrieren. Sie verselbstständigen sich zu eigenen Erzählsträngen. Und so macht es durchaus Sinn, am 26. Juni 2009 den 27. Juni 1989 auf der Hügelkuppe zwischen St. Margarethen und Sopronköhída zu feiern. Immerhin steht hier ja der Gedenkstein, auf dem vermerkt ist, genau an dieser Stelle hätten die beiden Außenminister Alois Mock und Gyula Horn einst den Eisernen Vorhang durchschnitten.

Es wäre schön, hätte man geschrieben, es sei "fast genau" an dieser Stelle gewesen. Die paar Kilometer hinüber nach Klingenbach können ja tatsächlich nachgesehen werden angesichts der Symbolkraft der Bilder, die sowohl die Österreicher als auch die Ungarn damals mit viel hintersinniger Feinfühligkeit eingesetzt haben.

Keine starken Bilder

An jenem 27. Juni 1989 waren ja viele Kilometer des veralteten Grenzzauns längst schon weggeräumt. Begonnen wurde damit am 2. Mai in Hegyeshalom. Aber da war schweres Gerät aufgefahren, einfache Soldaten rissen die Betonpfeiler aus der Erde. Das waren keine starken Bilder. Also erneuerte man im Juni ein Stückerl Drahtzaun bei Klingenbach, den die beiden Außenminister dann mit überdimensionierten Bolzenschneidern fotogen durchschnitten. Dass ein Pressefotograf das Zustandekommen dieses Termins heute als seine Initiative reklamiert, ist jedenfalls in einem höheren, quasi historischen Sinn, wahr.

DER STANDARD hat das alles damals klarerweise vermeldet. Mit Foto. Freilich war das nichts besonders Dramatisches mehr. Das wurde es erst jetzt, im Rückblick. Weitaus dramatischer ging es ja kurz zuvor schon in Budapest zu. Am 16. Juni wurden die Gebeine des 1956er-Revolutionsführers Imre Nagy und seiner Mitstreiter auf dem Heldenplatz aufgebahrt. Hunderttausende gaben ihnen das letzte Geleit.

Und erst dann, im Sommer, rückte die alte Ödenburger Straße zwischen St. Margarethen und Sopronköhída wirklich in die Mitte der Weltgeschichte. Am 19. August traf man sich hier, am Ende der östlichen und der westlichen Welt, zum "paneuropäischen Picknick" . 600 DDR-Bürger nutzten die kurz geöffnete Grenze zur Flucht.

Mittendrin der Soproner Arzt, Filmemacher und Picknick-Mitorganisator György Kárpáti. Seine berührenden Bilder gingen via Eisenstadt und Wien direkt nach Berlin (Ost). Und damit erst so richtig ans Eingemachte der DDR. (Wolfgang Weisgram/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.6.2009)