1920 trug Karl Kraus erstmals öffentlich einen Brief Rosa Luxemburgs vor, den die Kommunistin 1917 im Frauengefängnis von Breslau der Frau ihres Mitstreiters Kurt Liebknecht geschrieben hatte - ein anrührendes Dokument, in dem sie mit einem blutig geschlagenen Büffel, der als Lasttier eingespannt worden war, mitlitt. Nach dem Abdruck in der Fackel erhielt Kraus eine anonyme Zuschrift aus Innsbruck. Deren Absender konnte er als Ehefrau des k. k. Bezirkshauptmanns Alfred von Lill-Rastern von Lilienbach entschlüsseln. Für die Adlige war Luxemburgs Mitleiden mit dem Tier, für sie ein reines Nutzobjekt, unverständlich und sentimental.


Da holte Kraus aus zu einer seiner ätzendsten Philippiken. Bissig bis zur Verletzung nicht attestierter Ehre seziert er in seiner Replik die Arroganz einer sozialen Schicht, die Wortbinsen drischt und zynisch Menschen in den Krieg und den Tod treibt. Friedrich Pfäfflin, einer der besten Kenner des Werkes von Karl Kraus - er gab auch die Bände Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern und den Briefwechsel mit Kurt Wolff heraus - hat zu diesem Bändchen Erläuterungen und ein kluges Nachwort beigesteuert. Darin schlägt er einen Bogen bis zum Gedicht Coagula Paul Celans von 1965: "Auch deine/ Wunde, Rosa./ Und das Hörnerlicht deiner/ rumänischen Büffel/ an Sternes Statt überm/ Sandbett, im/ redenden, rot- / aschengewaltigen/ Kolben." (Alexander Kluy, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.06.2009)