Im Vorfeld gab es viel Skepsis. Zwar war der Tory-Abgeordnete John Bercow früh der Favorit der Buchmacher. Aber neun andere machten dem 46-Jährigen die Wahl zum Unterhauspräsidenten streitig, auch aus der regierenden Labour-Fraktion.

Das Unterhaus wolle als Speaker keinen Reformer, unkten die Medien, keinen vergleichsweise jungen Mann. Von Bercows konservativen Parteifreunden hieß es, man sei auf der Suche nach dem "ABB"-Kandidaten - "anyone but Bercow", jeder andere sei besser.

Der Londoner ließ sich nicht beirren. Die Unbeliebtheit in den eigenen Reihen nahm er hin: Unter den 15 Abgeordneten, die ihn am Montag fürs hohe Amt nominierten, war nur ein einziger Parteifreund. Überhaupt hätten ihn "höchstens drei Tories gewählt", höhnte tags darauf eine bittere Hinterbänklerin. Denn Bercow hielt eine glänzende Bewerbungsrede und empfahl sich als "Kandidat der klaren Veränderung". Dass die angesichts des Zorns im Land gegen die Abzocker-Mentalität vieler Abgeordneter nötig ist, spüren selbst jene, die sonst immer vom Unterhaus und seinen Traditionen schwärmen.

Der Posten des Speakers hat in seiner 632-jährigen Geschichte den Amtsinhabern nicht immer Glück gebracht. Einige von Bercows Vorgängern mussten sogar ihr Leben lassen. Der berühmteste von ihnen, der von Heinrich VIII. enthauptete Thomas More (1478-1535), schaffte es posthum zum Heiligen, worauf Premier Gordon Brown den neugewählten Speaker scherzhaft hinwies.

Soweit wird es bei Bercow schon deshalb nicht kommen, weil er "der erste Speaker jüdischen Glaubens" ist, was Oppositionsführer David Cameron würdigte. Der Sohn eines Taxifahrers studierte Politik und machte sie bald zu seinem Beruf. Hartnäckig und ehrgeizig verfolgte er sein Ziel, dem britischen Parlament anzugehören, auch mit ungewöhnlichen Mitteln: Zur Kandidatenwahl in seinem südenglischen Wahlkreis Buckingham erschien Bercow im Hubschrauber. Prompt erhielt er die Nominierung und zog 1997 ins Unterhaus ein.

Dort machte er bald mit liberalen Einstellungen von sich reden, galt gar als Kandidat für einen Übertritt zur Labour Party. Für Brown verfasste Bercow einen Bericht über lernbehinderte Kinder - ein Thema, das ihm aus eigener Erfahrung am Herzen liegt. Denn Oliver, das älteste von drei Kindern mit seiner bekanntermaßen Labour wählenden Frau Sally, leidet an Autismus. Als Speaker werde er "Sprecher und Zuhörer" sein, hat Bercow versprochen. (Sebastian Borger/DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2009)