Die junge Frau wird von einer unsichtbaren Macht zurückgeschleudert, stürzt rücklings zu Boden, vor ihren Beinen eine Blutlache, offenbar von der Austrittswunde der Kugel am Rücken stammend. Denn sie wurde in die Brust geschossen. Dann ein Positionswechsel der (Handy-)Kamera, der Kopf der Frau ist in Großaufnahme zu sehen, ringsum verzweifeltes Geschrei ihrer Begleiter, Versuch einer Herzmassage, aber es gibt keine Rettung mehr. Man kann einem jungen Menschen beim Sterben zusehen. Die Augen werden groß, Blut tritt aus Mund und Nase, die Augäpfel verdrehen sich, es ist aus.

Das wurde inzwischen millionenfach auf CNN, Youtube und diversen Websites von Zeitungen angesehen. Die neue Macht der Massenkommunikation hat gezeigt, was sie kann. Youtube wollte den Todes-Clip zunächst löschen, aber er wurde immer und immer wieder ins Netz gestellt, die Community setzte sich durch. Neda, die junge Iranerin, wurde fast in Echtzeit zu einer Märtyrerin, zu einer Ikone, zu einem Symbol des Widerstandes - wie eben die journalistischen Klischees alle heißen.

Manche meinen, damit sei das Schicksal des iranischen Regimes besiegelt, die neuen Technologien, Twitter, Handykamera und all das, würden über die brutale Repression siegen. Eine Variation von "Die Feder ist mächtiger als das Schwert" . Heute wird das Video vom Tod der jungen Iranerin eher bewirken, dass viele junge Menschen im Iran plötzlichen sehen, was der Tod wirklich ist, wie schnell und leicht er kommen kann, vor allem angesichts eines vollkommen skrupellosen Gegners.

Die Proteste sind denn auch schon abgeflaut. Der Punkt, an dem ein Regime plötzlich kippt, ist noch nicht erreicht - oder eher schon vorbei. Man darf auch nicht vergessen, dass das religiöse Gewaltregime über sehr starke Kohorten verfügt. Die reguläre Polizei ist angeblich in manchen Situationen schwankend geworden.

Aber es gibt hunderttausende Milizionäre, junge Männern ohne richtigen Beruf, ohne Ausbildung, oft ohne Frauen, aber mit Waffen. Eine Art religiöse SA, voll von Ressentiments gegen die Kinder der Mittelschicht, die da demonstrieren, und vor allem gegen junge Frauen, die ihr Leben selbst bestimmen wollen. Neda wurde Berichten zufolge von einem Milizionär erschossen.

Die Macht der Videoclips und der elektronischen Messages ist da. Sie ist aber eine "soft power", die zunächst versagt, wenn sie mit rücksichtsloser "hard power" konfrontiert wird. Langfristig kann sie jedoch eine Wirkung entfalten.

Die Frage bleibt, ob man solche Videos vom Tod eines Menschen veröffentlichen soll. Sie ist fast schon müßig, weil sich niemand mehr an solche Rücksichten hält. Im konkreten Fall wird wahrscheinlich die Würde des sterbenden Menschen Neda durch das höhere Ziel gerettet, nämlich die Verworfenheit eines Regimes zu zeigen, das seinen Proletarierkindern Waffen gibt, um die aufbegehrenden Kinder der Mittelschicht abzuknallen. Nedas letzte Minuten sind nun Teil des elektronisch abrufbaren Massenbewusstseins und werden es noch lange bleiben. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2009)