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Greenpeace-Demo im Dienste des Polarbären - und eines Expertentums, das mit PR-trächtigem Aktionismus das Klima versaut.

Foto: Reuters

Was passiert, wenn Wissenschafter zu Dogmen-Verkündern mutieren. - Klimaforscher müssen nun die eigene Vorgabe von zwei Grad Erderwärmung bis 2100 nach nur zwei Jahren als unrealistisch verwerfen. 

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In den letzten Jahren spielte die Zahl 2 in der Klimaforschung, den Medien, in den Reden von Politikern bis tief hinein in die Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Eine Gruppe von öffentlich sehr wirksamen Klimaexperten vertrat die Ansicht, wenn die globale Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts auf 2 Grad beschränkt werden könnte, blieben dem Planeten erhebliche Katastrophen erspart. Falls dies nicht gelänge, wären etwa Migrationsbewegungen unerhörten Ausmaßes, überbordender Terror und die Verödung gegenwärtig fruchtbaren Bodens in großem Maßstab die Konsequenz.

Zuerst stellt sich die Frage, wie es zu der Zahl 2 kam. Tatsächlich lassen sich unserer Ansicht nach nicht die oben geschilderten Katastrophen in einen strikten kausalen Zusammenhang mit einer Erderwärmung von 2, 2.1 Grad oder 4 Grad bringen. Vielmehr kommen die 2 Grad aus dem deutschen Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltfragen WBGU. Die dort aktiven Klimaexperten sind jetzt auch in Brüssel beim Alarmschlagen dabei. Tatsächlich scheinen die 2 Grad jene Temperaturzunahme zu sein, mit der "mindestens" am Ende des 21. Jahrhunderts zu rechnen ist. Die 2 Grad sind eine politische Zahl, keine wissenschaftliche, selbst wenn sie von Wissenschaftern zur Leitlinie erklärt worden ist. Nun muss diese Zahl (wenig erstaunlich) als zu optimistisch verworfen werden.

Weshalb aber werden von manchen Klimaexperten unrealistische Zielvorgaben zum Dogma erhoben, aus dem sich Handlungsanleitungen für die Regierungen und die gesamte Staatengemeinschaft (diverse Protokolle) ableiten sollen? Bestimmt kann nicht allen diesen Experten unterstellt werden, sie hätten von der Aussichtslosigkeit des "2-Grad-Zieles" nichts gewusst. Eine mögliche Antwort bestünde darin, dass unrealistische Ziele vorgegeben werden, um im wahrscheinlichen oder gar sicheren Falle deren Nichterreichung die Öffentlichkeit erneut zu alarmieren und zu größeren Anstrengungen anzuhalten.

Wir denken, dass ist der falsche Weg. Zunächst wird durch solches Vorgehen der Klimawandel an sich nicht ausreichend ernst genommen. Klimawandel findet statt und wird sich in den kommenden Jahrzehnten beschleunigt entfalten. Darauf stellt sich die Gesellschaft am besten mit mittel- bis langfristig angelegten Gegenmaßnahmen ein. Je mehr die Emissionen eingeschränkt werden können, umso geringer wird der Klimawandel ausfallen. Aber er wird nicht zum Stillstand kommen, und die Verminderung der Verletzlichkeit muss hohe Priorität in der öffentlichen Agenda bekommen.

Daher ist ein Aktionismus, der alle paar Jahre in einem unbestimmten Katastrophenalarm kumuliert, kontraproduktiv. Ein derartig kurzsichtiges Vorgehen untergräbt auch internationale Abkommen - da sie dieser Philosophie folgend schon nach wenigen Jahren hinfällig sind. Zuletzt ist zu befürchten, dass so die Klimaforschung das in sie (zu Recht) gesetzte Vertrauen verliert. Angesichts der tatsächlich vor uns liegenden Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen wäre das ein kapitaler Schaden.

Mit Alarmismus und dem Schüren von Hysterie erweist man der Sache einen Bärendienst. Irgendwann werden sich auch die gutmütigsten Menschen, die ihren Abfall trennen, energiesparende Glühbirnen verwenden, bewusst saisonal und regional einkaufen und zumeist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, fragen, was sie denn noch beitragen können, um ihre Schuld am Verfehlen des 2-, 2.5-, 3-Grad-Zieles verringern zu können. Teilnahmslosigkeit könnte mittelfristig ein Resultat des Alarmismus sein. (Christoph Matulla, Hans von Storch, Nico Stehr, DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2009)