Die dramatischen Ereignisse im Iran haben eine seit 20 Jahren tobende Debatte neubelebt: Gibt es in modernen und sich modernisierenden Gesellschaften einen unaufhaltsamen Marsch in Richtung Demokratie?

In den Jahren nach 1989, als von Mitteleuropa über Ostasien bis Lateinamerika Diktaturen stürzten und selbst in vielen Staaten Afrikas freie Wahlen stattfanden, schien es - ganz im Sinne von Francis Fukuyamas "Ende der Geschichte" - nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die letzten Bastionen der Tyrannei fallen würden. Diese Prognosen beruhten nicht (nur) auf naiven Träumereien, sondern auf nüchternen Analysen über das Zusammenspiel von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Eine erfolgreiche Wirtschaft, so die damals geläufige These, könnte es nur mit einem lebendigem Unternehmertum geben, und dieses benötige einen politischen Pluralismus und einen Rechtsstaat, was allein eine Demokratie nach westlichem Muster bieten könne. Und weiter: Eine wachsende Mittelschicht würde früher oder später auch politische Mitsprache fordern und so jede autoritäre Führung untergraben.

Einige Jahre später kam ein weiterer Faktor hinzu: Internet und Telekommunikation hätten das Informationsmonopol der Herrschenden gebrochen und ihnen eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente beraubt. Tatsächlich spielten die neuen Technologien bei der neuen Welle färbiger Revolutionen in diesem Jahrzehnt - von Serbien über Georgien bis zur Ukraine - eine entscheidende Rolle, ebenso wie beim jüngsten Volksaufstand im Iran.

Doch die meisten dieser Hoffnungen sind in den vergangenen Jahren zerstoben. Wahlen haben sich vielerorts als untaugliches Mittel für einen friedlichen Machtwechsel erwiesen, demokratische Hoffnungsträger von Viktor Juschtschenko bis Michail Saakaschwili als inkompetent oder autoritär.

Die tristesten Erfahrungen in Sachen Demokratie wurden in Russland und China gemacht: Wladimir Putin gelang es, mithilfe hoher Ölpreise eine schon recht weit gediehene demokratische Kultur wieder in enge autoritäre Bahnen zu lenken. Und in China hat die Kommunistische Partei eine rasante wirtschaftliche Entwicklung ohne sichtbare Spannungen mit offener Unterdrückung verbunden.

In beiden Staaten wurde - wie einst im deutschen Kaiserreich - die Mittelschicht zur Säule der autoritären Herrschaft. China hat außerdem demonstriert, dass ein starker Staat das Internet fast lückenlos kontrollieren kann.

Der Iran allein ist kein Vorbote für kommende Ereignisse in China oder Russland. Aber die Kräfte, die die Menschen in Teheran auf die Straße treiben und das Regime zum Wanken bringen, existieren auch anderswo. Der Iran zeigt vor allem, wie schwer sich nicht- oder halbdemokratische Staaten mit dem in jedem Staat notwendigen Interessenausgleich zwischen verschiedenen Gruppen und der Verhinderung von Machtmissbrauch tun.

Auch autoritäre Regimes bauen ihre Herrschaft auf die Zustimmung der Bevölkerung. Geht diese durch unkontrollierbare Ereignisse verloren, dann offenbart sich rasch die Fragilität des Systems. Repression ist ein schlechter Ersatz für politische Legitimität.

Und schließlich sieht man im Iran, dass Technologie ein schwer zu fassender Gegner für die Mächtigen ist. Das Internet lässt sich abschalten, Twitter aber nicht. 1984 lässt nicht grüßen.

Selbst wenn die Entwicklung im Iran noch eine positive Wende nimmt, ist dies kein Grund, zum Demokratieglauben der frühen Neunzigerjahre zurückzukehren. Aber auch die zuletzt oft geäußerte Ansicht, die Zukunft der Welt gehöre autoritären, staatskapitalistischen Regimes, greift viel zu kurz. Politik ist immer für Überraschungen gut. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2009)