Weniger Fleisch zu essen kann helfen, den Klimawandel zu entschleunigen: der Vorsitzende des UN-Klimarats Rajendra Pachauri.

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Der Vorsitzende des UN-Klimarates, Nobelpreisträger Rajendra Pachauri, plädiert für eine Änderung des Lebensstils. Nur so könne dem drohenden Klimakollaps vorgebeugt werden. Die Fragen stellte Günther Strobl.

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STANDARD: Es ist regnerisch, kalt - und das mitten im Sommer. Viele fragen, wo ist die Klimaerwärmung?

Pachauri: Klimawandel heißt nicht, dass wir es immer und überall wärmer haben. Das System ist gestört, Extremsituationen häufen sich. Es gibt mehr Dürren, mehr Überschwemmungen, in hohen Lagen viel mehr Schnee. Der langfristige Trend zeigt, dass die Stabilität des Klimasystems angegriffen ist.

STANDARD: Es gibt Wissenschafter, die behaupten, alles sei normal, alles schon dagewesen. Handeln diese Personen verantwortungslos?

Pachauri: Die haben ihre eigenen Meinungen, Ansichten, Einschätzungen. Das ist legitim. Allerdings nimmt die Zahl der Skeptiker rapid ab. Der Großteil der Wissenschafter ist inzwischen überzeugt, dass es den Klimawandel gibt.

STANDARD: Wann haben Sie erkannt, dass sich das Klima ändert?

Pachauri: 1988. Da wusste ich, der Klimawandel wird ein großes Problem. Nehmen wir die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre: Vor der Industrialisierung waren es 280 ppm (pars pro million, Anm.). Jetzt sind es 386 ppm. Der Zusammenhang mit der Klimaveränderung ist evident.

STANDARD: Ist die Wirtschaftskrise ein Glücksfall für das Klima?

Pachauri: Es gibt einen leichten Rückgang bei den Emissionen, das stimmt, heißt aber nichts. Die Wirtschaft fährt seit etwa einem Jahr im Rückwärtsgang, der ökologische Abschwung aber geht jetzt schon über Jahrzehnte. Wir müssen akzeptieren, dass wir den Klimawandel beeinflussen.

STANDARD: Die Krise schadet dem sozialen Frieden?

Pachauri: Ja. Aber der Klimawandel ist schlimmer und gefährlicher als die derzeitige Wirtschaftskrise. Jede Region auf der Welt ist davon betroffen. Wenn sich nichts ändert, sind Stabilität und Frieden in höchstem Maße gefährdet.

STANDARD: Mehr als 1,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Strom. Könnte grüne Energie die Lösung sein?

Pachauri: Vorausgesetzt, sie wird von den entwickelten Ländern finanziert. Kopenhagen wird die Nagelprobe werden. Wenn man haben will, dass die in den Entwicklungsländern benötigte Energie aus sauberen Quellen kommt, braucht es Finanzierungszusagen.

STANDARD: Was, wenn im Dezember in Kopenhagen kein neues Klimaabkommen zustande kommt?

Pachauri: Dann wird es ein paar Monate später einen neuen Anlauf geben, ja geben müssen. Ohne neuen Klimavertrag geht es nicht. Das ist inzwischen common sense.

STANDARD: E-Mobilität - ist das der richtige Weg?

Pachauri: Das ist eine der Lösungen, nicht die einzige. Menschen werden auf Mobilität nicht verzichten wollen. Es wird folglich mehr und bessere Angebote beim öffentlichen Verkehr geben müssen, mehr effiziente Autos, auch ein nachhaltiges Angebot von Energie, um Menschen und Güter zu bewegen.

STANDARD: Müssen die Menschen auch ihren Lebensstil ändern?

Pachauri: Ganz gewiss. Die heutige Art zu leben ist alles andere als umweltverträglich. Das heißt aber nicht, alle wir alle schönen Sachen aufgeben müssen. Kleinere Änderungen im Alltagsablauf genügen schon.

STANDARD: Zum Beispiel?

Pachauri: Wir sollten weniger Fleisch essen, weil der Fleischzyklus sehr intensiv ist. Man produziert Fleisch etwa in Brasilien, exportiert es nach Europa, Japan und anderswohin. All das braucht enorme Mengen an Kühlung, an Land, an Tierfutter. Mit einer kleinen Veränderung im Lebensstil, der nicht schmerzen muss, kann man schon viel bewirken. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2009)