Foto: Stadtkino

Zwei tragische Liebende auf rastloser Wanderung: Sawako (Miho Kanno) ...

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... und Matsumoto (Hidetoshi Nishijima), puppengleich, als Takeshi Kitanos "Dolls".

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Der japanische Regisseur Takeshi Kitano erzählt in seinem jüngsten Film "Dolls" drei tragische Liebesgeschichten und bewegt seine Figuren dabei wie ein Puppenspieler.

Wien – Eine junge Frau versucht, ein Auto zu verlassen. Doch sie kommt immer nur so weit, wie die Leine reicht, an der sie festgebunden ist. Und sie verfängt sich in einem Leerlauf, einer sturen Wiederholung, die ihren Körper, gedächtnislos, wie in einen Mechanismus eingebunden erscheinen lässt.

Der Antrieb hinter dieser stupiden Handlung liegt in deren Vorgeschichte: Dolls, der jüngste Film des japanischen Ausnahmeregisseurs Takeshi Kitano, erzählt vom Irrewerden an der Liebe, das sich in drei Geschichten unterschiedlich manifestiert. Gewissermaßen buchstäblich im Fall von Sawako (Miho Kanno), die von ihrem Geliebten verlassen wurde, weil dieser dem Drängen seiner Eltern auf Eheschließung mit der Tochter seines Chefs nachgegeben hat, und die nun in einem Zustand seltsamer Regression vor sich hin vegetiert.

Der Geliebte, Matsumoto (Hidetoshi Nishijima), kehrt zu ihr zurück, holt sie aus der Klinik, bindet sie schließlich mit der Leine an sich, weil die junge Frau beständig droht, auch körperlich abhanden zu kommen. Als "aneinandergebundene Bettler" zieht das Paar schließlich durchs Land.

Sein fortschreitender Rückzug aus realen Lebenszusammenhängen manifestiert sich in Landschaftspanoramen, in denen die Figuren, ganz klein, immer mehr jenen traditionellen Bunraku-Puppen ähneln, mit denen der Film beginnt.

Andere Liebende begegnen dem Verlust, indem sie mit Hingabe und Beharrlichkeit eine Ordnung aufrechterhalten, die nach außen ebenso sinn- wie hoffnungslos erscheint: Eine namenlose "Frau im Park" (Chieko Matsubara) wartet seit vielen Jahren täglich um die Mittagszeit auf die Rückkehr ihres Geliebten. Als er eines Tages tatsächlich neben ihr sitzt, erkennt sie ihn zunächst nicht einmal. Nachdem die beiden einander dann doch wieder gefunden haben, ereignet sich jedoch eine neuerliche, unwiderrufliche Trennung.

Und auch die dritte Episode um den gefeierten Teeniestar Haruna (Kyoko Fukada), die nach einem Unfall trachtet, jeden Kontakt mit der Außenwelt und ihren Fans zu vermeiden, hat kein Happyend.

Figuren am Faden

Takeshi Kitano hat mit Dolls einmal mehr das Genre und die Seiten gewechselt: In Brother (2000) ließ er zuletzt einen von ihm selbst verkörperten Yakuza in L.A. blutige Bandenkriege anzetteln. Mit Dolls hat er erneut ein Melodram inszeniert, das mehr an A Scene At The Sea (1991) oder Kikujiro (1999) erinnert, und hinter der Kamera als Autor und Regisseur mit seinem bewährten Team (Musik: Joe Hisaishi, Kamera: Katsumi Yanagishima) die Fäden gezogen.

Dabei nimmt der Film Elemente auf, die Kitanos Werk seit jeher kennzeichnen: sein Stoizismus, sein Interesse an (sozialen) Ritualen und an (absurden) Spielen, seine eigenwillige, farbintensive Bildwelt, die seine tendenziell statische Inszenierungsweise häufig mit emblemartigen oder auch gezeichneten Motiven durchwirkt.

Auch in Dolls hat Kitano solche visuellen Linien durch den Film gelegt. Dinge und Farben ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und gewinnen neben den Figuren Eigenleben: eine Spielzeug-Plastikkugel in leuchtendem Pink, die neben der Halbmondsichel im nachtschwarzen Himmel schwebt, oder eine rote Seidenkordel, die durch Herbstlaub schleift. Die Figuren fungieren in diesem Zusammenhang weniger als realistische Personen denn als Träger von Affekten.

Wie die Bunraku-Puppen von ihren schwarz gekleideten, gut sichtbaren Spielern, werden sie von einer Macht bewegt, die sie von Außen erfasst und doch zur Gänze durchdringt – ein Motor, der noch ihre individuelle Motorik steuert.

Auch der Regisseur tritt als Stilist und Spielmacher ganz hinter diesen Weltentwurf zurück: Mit Dolls, diesem ganz und gar künstlichen Gebilde, ist ihm fraglos einer der eindrucksvollsten Filme der letzten Zeit gelungen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 21.3.2003)