Als erster Präsident der Fünften Republik wird er heute, Montag, dem Parlament ins Gewissen reden.

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Endlich nimmt Louis XIV. wieder den ihm gebührenden Platz ein: Nach zweijähriger Renovierung prangt die Reiterstatue des Sonnenkönigs wieder im imposanten Schlosshof von Versailles. Zahlreiche Bürger applaudierten im April, als sie mit einem Kran auf ihren Sockel gehievt wurde.
Heute, Montag, wird vor der prächtigen Königsresidenz nicht ein Kran, sondern eine schwarze Limousine vorfahren. Dem Fahrzeug wird allerdings nicht ein federbuschbestückter Monarch entsteigen, sondern ein demokratisch gewählter Präsident im Dior-Maßanzug: Nicolas Sarkozy, der den 920 Parlamentariern seine Ehre zu erweisen kommt.
Oder umgekehrt. Fest steht, dass Sarkozy im Juli 2008, als die Franzosen bereits in den Ferien weilten, eine Verfassungsänderung durch beide Parlamentskammern peitschte. Kerninhalt ist, dass der Staatschef einmal im Jahr vor der Nationalversammlung und dem Senat auftreten darf. Das stärke die Rolle des Parlaments, argumentierte Sarkozy fast unwidersprochen.

Bisher wäre ein solcher Auftritt undenkbar gewesen - weil unvereinbar mit der Gewaltentrennung, die schließlich auf den französischen Baron de Montesquieu (1689-1755) zurückgeht. Letztmals hatte eine französische Verfassung 1791 dem König das Recht eingeräumt, dem Parlament „jene Objekte vorzuschlagen, von denen er glaubt, dass sie in Betracht gezogen werden sollten". Genau das wird nun Sarkozy tun: Er will sich in Schloss Versailles in einer einstündigen Rede an die auf engen Stühlen sitzenden Deputierten und Senatoren wenden, um ihnen seine Vision Frankreichs, Europas und der Welt darzulegen.

Die Pariser Medien, welche die Verfassungsrevision von 2008 ferienbedingt verschliefen, ironisieren nun vereinzelt die „republikanische Monarchie" (so die Zeitung Libération). Selbst der regierungsnahe Figaro fragt vorsichtig, ob die „prééminence" (Vorrang) der exekutiven über die legislative Gewalt nicht verstärkt werde. Aber laut einer jüngsten Umfrage befürworten 56 Prozent der Franzosen den Parlamentsauftritt des Präsidenten. Von echter parlamentarischer Demokratie halten sie nicht viel.

Kommunisten und Grüne boykottieren Sarkozys „Vorladung", wie der protokollarische Begriff lautet. Die Sozialisten haben nach tagelangen Debatten beschlossen, „nach Versailles" zu fahren, aber dort im Anschluss nicht das Wort zu ergreifen. Dieser seltsame Kompromiss kann Sarkozy nur recht sein, da damit keine Kritik an seinem Auftritt laut wird.
Vertreter von Sarkozys „Union für eine Volksbewegung" (UMP) erklären, Sarkozy handle nicht anders als der US-Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation. Doch der Vergleich hinkt, da laut französischer Verfassung nicht der Staatschef, sondern der Premierminister sein Regierungsprogramm vor dem Parlament darlegt. Der Präsident steht sozusagen über der Innenpolitik; deshalb hat er keine Gegengewalt wie der US-Präsident, der dem Prinzip der „checks and balances" unterworfen ist. Unterwerfung ist nichts für Nicolas I. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 22.6.2009)