Günter Geyer, Vorstandschef der Städtischen, gilt als meistunterschätzter Manager des Landes - "besser als das Gegenteil", meint er.

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Günter Geyer, Chef der Wiener Städtischen, empfindet die Lage in Osteuropa als beruhigendes Element für seinen Konzern. Warum es in der Städtischen unblutiger zugeht als im Bienenstock, und was für ihn, den gegen alles Versicherten, Glück ist, erfuhr Renate Graber

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STANDARD: Was gab es denn heute bei Ihnen zum Mittagessen?

Geyer: Wurstsemmerln.

STANDARD: Krisenkost?

Geyer: Aber nein.

STANDARD: Gibt es Ihr Ritual des täglichen gemeinsamen Mittagessens des Vorstands nicht mehr?

Geyer: Doch, wann immer es die Termine zulassen. Wir essen dann in einem kleinen Raum neben der Küche; das ist seit Generationen von Vorständen so. So machen wir fast täglich eine Vorstandssitzung: sehr produktiv.

STANDARD: Sie arbeiten mit vollem Mund?

Geyer: So gesehen: ja.

STANDARD: Sie haben den größten Vorstand des Landes: zehn Leute. Ist das nicht ein bisserl viel?

Geyer: Keinesfalls. Die Vienna Insurance Group ist ein Konzern mit 56 Gesellschaften in 23 Ländern. Fünf Vorstandsmitglieder befassen sich mit dem internationalen Geschäft, fünf sind für die größte Einzelgesellschaft, die Wiener Städtische, verantwortlich.

STANDARD: Sie erwirtschaften die Hälfte von 8,3 Mrd. Euro Prämieneinnahmen im Osten. Wie schlecht schlafen Sie angesichts dessen?

Geyer: Warum? Die Situation im Osten ist in Bezug auf unseren Konzern ein beruhigendes Element, insgesamt ist sie besser als im Westen dargestellt. Wir erwirtschaften in den meisten Ländern in Lokalwährung sehr schönen Zuwachs; sogar im Mai, mitten in der Krise. Ich habe nicht die Notwendigkeit, schlaflose Nächte zu haben.

STANDARD: Sie sagten 2006, die Wachstumsrallye im Osten würde noch 20 Jahre dauern, das Risiko dort sei gleich null. Kann man ernsthaft glauben, dass in einer Region 20 Jahre Milch und Honig fließen?

Geyer: Es muss nicht immer Honig sein, manchmal ist es Kunstzucker. Aber die Aufwärtsentwicklung wird noch lange anhalten.

STANDARD: Mich wundert, dass Sie so gelassen sind. Verdrängen und rationalisieren Sie?

Geyer: Es gibt insgesamt eine sehr ernste Krise, aber nicht für unseren Konzern. Über die wirtschaftliche Lage Österreichs mache ich mir ja sehr wohl Sorgen, sie wird sich erst 2012 oder 2013 erholen - und dann langsam. Und von wegen rationalisieren: Ein Manager ist auch ein Mensch, kann nicht nur rational entscheiden, ist immer auch emotional. Aber ein Manager, der seine Sorgen auf die Straße trägt: Wem hilft der?

STANDARD: Die Städtische sponsert ja das Sigmund-Freud-Museum, Sie sind Vereinsmitglied. Interessiert Sie die Materie?

Geyer: Ja, umso mehr, als Freud einer jener Österreicher ist, die vertrieben und im Ausland populär wurden; und dann erst langsam zu Hause. Wie "unsere" Nobelpreisträger.

STANDARD:  Einer von Freuds Langzeit-Patienten, Sergej Pankejeff, hat bei der Städtischen gearbeitet?

Geyer: Das ist mir auch bekannt.

STANDARD: Weil wir zuerst von Honig sprachen: Sie waren in Ihrer Jugend Bienenzüchter ...

Geyer: Ja, das hat mich fasziniert. Ich hatte Bienenstöcke, habe mich auch mit den Tänzen der Bienen beschäftigt, die ja Nobelpreisträger Karl von Frisch erforscht hat.

STANDARD:  Ich habe mich sehr auf dieses Gespräch vorbereitet, aber der Bienentanz ist mir entgangen.

Geyer: Die Bienen orientieren sich nach dem Sonnenstand. Wenn sie eine Quelle für Nektar finden, fliegen sie zurück, teilen das den andern mit, indem sie bestimmte Tänze machen. So erfahren die anderen, wo sie hinfliegen müssen.

STANDARD: Wie Sie und Österreichs Banker in Osteuropa. Sie sagen auch, der Umgang mit Bienen sei wie Managen ...

Geyer: Ja, wenn man so einen Stock aufmacht, Sie kennen das sicher ...

STANDARD: Ich bin da eher ängstlich.

Geyer: Aber Bienen sind doch so pflegeleicht. Ich habe jetzt wieder welche, als Pensionsvorbereitung: Ich lasse sie über meine Arme krabbeln, die machen nichts und sind friedfertig - wenn man sie behutsam behandelt. Eben, der Respekt vor Bienen hat Ähnlichkeit mit dem Respekt, den Manager allen anderen entgegenbringen sollen.

STANDARD: Ex-Manager Klaus Woltron ist Imker. Er lässt übrigens grüßen, als damaliger SGP-Chef sei er heute noch froh, dass die Städtische 1987 den Brandschaden in der Wiener Müllverbrennungsanlage Spittelau ersetzte: 770 Mio. Schilling ...

Geyer: Das war unser größter Schaden. Die neue Anlage hat Hundertwasser gestaltet; sein Geburtstagsgeschenk für Bürgermeister Zilk.

STANDARD:  Er war lang Ihr Aufsichtsratschef; können Sie sich ihn als Spion vorstellen?

Geyer: Nein. Doktor Zilk hat immer gern viel erzählt und viel gewusst, aber dieser Darstellung kann ich mich nicht nähern.

STANDARD: Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?

Geyer: Es passt in keiner Form zum Bild, das ich von ihm habe.

STANDARD: Wie ist Ihr Bild?

Geyer: So, dass ich weiß, wie viel Papier damals in den kommunistischen Ländern über Leute, die dort zu tun hatten, produziert wurde.

STANDARD: Noch zu den Bienen ...

Geyer: Soll ich Sie mal einladen?

STANDARD: Danke, nein. Die Stöcke stehen in Ihrem Haus im Almtal, von wo Sie ja kommen. Da hat das Haus von Hannover ein Anwesen. Wurden Sie je geschlagen?

Geyer: Nein. Wissen Sie, wie Hannovers das Jagdgebiet bekamen? Sie haben den Krieg gegen Preußen auf Seite Österreichs verloren, als Entschädigung überließen ihnen die Habsburger diese Besitzungen.

STANDARD: Eine Rückversicherung.

Geyer: Nein, die kann man nicht rückwirkend abschließen. Das nennt man Dankbarkeit. Was wollten Sie noch mit Woltrons Bienen?

STANDARD: Er sagt, Bienen seien besser organisiert als jedes Unternehmen. Stimmt das?

Geyer: Nein, wir sind viel demokratischer organisiert. Bei uns gibt es auch keine Königinnenmorde.

STANDARD: Die sogenannte rote Städtische kooperiert eng mit der schwarzen Erste Bank. Weil Sie die Farbenlehre aufgebrochen und Ihre Kooperation mit der Bank Austria beendet haben, gelten Sie als Tabubrecher. Sie sehen das anders. Warum?

Geyer: Wer was in der Wahlzelle macht, ist kein Thema. Für mich zählen ökonomische Überlegungen und Handschlagqualität. Die Erste und wir sind, was unsere Märkte, soziale Unternehmenskultur und Zugang zu den Kunden betrifft, fast identisch. Warum müssen Wirtschaftsfragen immer parteipolitisch interpretiert werden? Ich mische mich ja auch nicht in die Politik ein.

STANDARD: Der Aufsichtsratschef der Städtischen war, ab Karl Lueger, immer der Wiener Bürgermeister.

Geyer: Seit 1994 nicht mehr. Und nehmen Sie Kanzler Faymann. Er ist Sozialdemokrat und unterstützt in der EU Barroso, einen Konservativen - aus pragmatischen Gründen. Das finde ich gut.

STANDARD: Dass der rote Industrielle Androsch Jobs aus seiner steirischen AT&S nach Asien verlegt, stört Sie auch nicht? Die Städtische ist ja beteiligt mit sieben Prozent.

Geyer: Wir leben in einer globalisierten Welt. Ich bin sicher, er trifft die richtigen Entscheidungen für sein Unternehmen.

STANDARD: Sie sagen: "Ich bewundere Treichl." Das finde ich erstaunlich definitiv. Hätten Sie das auch über Ihren Partner bei der Bank Austria, Gerhard Randa, gesagt?

Geyer: Meine Einstellung zu Herrn Magister Treichl ist eine uneingeschänkt positive.

STANDARD: Welch Glück. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch ist der Versicherungs- ein Glücksvertrag, zählt zu den waghalsigen Geschäften ...

Geyer:  ... sehr, sehr waghalsig.

STANDARD: Was ist Glück?

Geyer: Glück ist das, was der Manager braucht, neben einer guten Mannschaft. Glück ist die Bestätigung des richtigen Wegs. Privat ist Glück, den richtigen Partner zu finden, mit dem man sich gut versteht.

STANDARD: Sie sind mit Ihrer Frau immer in den Osten gefahren, um die Filialen zu inspizieren. Es heißt, Sie hätten ausgesprochen viele Versicherungsverträge.

Geyer: Stimmt, ich bin gegen alles versichert, was eintreten könnte.

STANDARD: Die Städtische hat selbst eine bewegte Geschichte, wurde 1824 von Klöstern wie Klosterneuburg oder Melk gegründet. In der NS-Zeit kam die Gesellschaft nicht unter deutsches Eigentum, hat als einziger Versicherer weiter Klerus und Kirche versichert. Wie ging das?

Geyer: Der zuständige Mann, ein Nazi übrigens, hat den Befehl schubladisiert und bei Nachfragen immer die Auskunft gegeben: "Wir sind dabei." Aber das 1000-jährige Reich war früher aus. Diese Fakten lernen Priester übrigens heute noch.

STANDARD: Auch, dass Ihr Begräbniskostenversicherer Wiener Verein beim Zweiten Vatikanum Mitte der 60er erreicht hat, dass die Einäscherung als "christliche Bestattungsmethode" anerkannt wurde?

Geyer: Ja, vorher war die Feuerbestattung nicht anerkannt, politisch besetzt. "Die Flamme" war ja ein Arbeiter-Feuerbestattungsverein.

STANDARD: Manche sagen, das Logo der neuen Bawag sei dem der Bestattung Wien ähnlich. Worauf führen Sie die Skandale, die auch in Österreichs Wirtschaft in letzter Zeit aufgebrochen sind, zurück?

Geyer: Leider kommt man erst bei solchen Anlässen zum Thema Hausverstand zurück. Manager sollten halt nur Geschäfte machen, die sie verstehen, und sie dürfen die Bodenhaftung nicht verlieren. Wenn wir Manager keine Kritiker mehr hören - ja, dann entschwinden wir. Die größte Gefahrenquelle für Fehlentscheidungen sind aber Eitelkeit und Selbstüberschätzung. Schlägt die Eitelkeit zu, setzt der Verstand völlig aus.

STANDARD: Da sind Sie fein raus. Sie gelten ja als "meistunterschätzter Manager Österreichs".

Geyer: Besser als das Gegenteil.

STANDARD:  Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Geyer: Darum, beruflich wie privat so zu handeln, dass man es im langfristigen Rückblick nicht bereuen muss. Ob ich das für mich selbst nicht erst am Sterbebett abschließend beurteilen kann? Nein, ich ziehe oft Bilanz. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.6.2009)