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Sehen sich die Mitarbeiter ständig nur in einem Strudel hin- und hergeworfen, fehlt die Klarheit und die Ruhe, dann bleibt oft als einzige Vision: "Endlich mal wieder in Ruhe arbeiten können."

Was beseelt und beflügelt die Summe von Menschen, die wir unter dem Begriff „Unternehmen" zusammenfassen? Thomas Weegen, Deutschlandgeschäftsführer der auf die Weiterentwicklung von Führung und Zusammenarbeit sowie Veränderungsprozesse spezialisierten Unternehmensberatung Coverdale, München, nennt aus seiner Erfahrung vorrangig drei Aspekte: eine gemeinsame Vision, die Qualität der Führung und die individuellen Rahmenbedingungen.

Als verbindende Vision, mit der sich alle identifizieren und für die sich alle anstrengen können, genügt eines allein nicht: das Ziel, Profit zu machen. Das muss und will jedes Unternehmen. Eine wirkliche Unternehmensvision greift weit darüber hinaus, stellt klar, was das Unternehmen schaffen, was es erreichen, wofür es stehen, welcher Idee es folgen und „gehorchen" will. Prägt dieses Gedankengut einen Betrieb, kann das die Belegschaft zusammenschweißen, anspornen und für ein Klima sorgen, das nun seinerseits die tägliche Arbeit über das nackte, reine Geldverdienen hinaus sinnvoll und lohnend macht.

Qualität der Führung

Ob das schließlich herrschende Realität wird, ist eine Frage der Qualität der Führung. Geht sie bedacht und vorausschauend vor oder reagiert sie nur auf den Moment und arbeitet sie sich ohne einer Vision zu folgen lediglich am Tag ab?

Gelingt es den Führenden auf allen Ebenen gemeinsam, aus einem selbstverständlichen Miteinander heraus Kooperationen zu schaffen, Schnittstellen zu Verbindungsstellen zu machen, an denen der "Staffelstab" weitergegeben wird, oder löst ihr Tun und Lassen nur Konfusion in den Köpfen und Konfrontation im Zwischenmenschlichen aus? Werden die Vorgesetzten als fair und vorbildlich erlebt oder lediglich als berechnend und fordernd? Wirkt die Führung auf ein gutes Verständnis aller Mitarbeiter für die Kunden, die Märkte und Produkte und deren Entwicklung hin?
Dabei kann die einzelne Führungshandlung durchaus Widerspruch und auch inneren Widerstand hervorrufen. Was betriebsklimatisch zählt, ist der überzeugende, gewinnende Gesamteindruck im Zeitverlauf. Schließlich bestimmt dieser maßgeblich die Sicht und das Empfinden der individuellen Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz: Wird gereizt seismografisch negativ auf jede Unstimmigkeit und Ungereimtheit reagiert oder gelassener der Gang der Dinge betrachtet und abgewartet?

Bestimmt das Gefühl animierender Herausforderung, auslaugender Überforderung oder desinteressierter Unterforderung das Geschehen? Werden die Gestaltungsspielräume individuell als passend empfunden? Und, so schließt sich dieser Kreis, sind alle durch die eigene Weiterentwicklung eingebunden in die Weiterentwicklung des Unternehmens?

Durch die Turbulenzen

"Gelingt dieser Dreischritt - zumindest annäherungsweise", sagt Weegen, und werde er durch ein solides Risiko- und Finanzmanagement unterfüttert, wachse die Chance, ein Unternehmen durch die Turbulenzen der Zeitläufe zu bringen. 

Die Unternehmensgröße an sich spiele dabei eher eine Nebenrolle. Vorausgesetzt, es werde nicht zu zentralistisch geführt. Dann brauchten Informationen zu lang, bis sie bei den eigentlichen Entscheidern ankämen, und Entscheidungen zu lang, bis sie umgesetzt und das betriebliche Handeln den sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst würde. Die eigentliche Herausforderung wachsender Unternehmenseinheiten sieht Weegen denn auch darin, "die Kostenvorteile der größeren Einheit zu realisieren und gleichzeitig flexibel und reaktionsschnell zu bleiben". 

Dennoch, die absolute Krisensicherheit gibt es nicht. Manchmal verändern sich Märkte und Umfeld so unberechenbar und schnell, dass auch das beste Unternehmen in Existenznot gerät. Die Bankenkrise zeigt gerade, dass und wie das geht. Dann kommt es für Weegen darauf an: 

Liquidität sicherzustellen und eng zu monitoren. Bricht allerdings der Cashflow zusammen, erübrigt es sich, über weiterführende Maßnahmen nachzudenken. Ein absoluter Worst Case, ein Best Case und mehrere Zwischenszenarien aufzustellen und mit passenden Schritten zu unterlegen, um in den jeweiligen Szenarien das Überleben zu ermöglichen. Die Mitarbeiter sachlich-stimmig zu unterrichten; ihnen einerseits ungeschminkt die Situation darzulegen und denkbare Konsequenzen anzusprechen, ihnen andererseits begründet zu erläutern, welche Mittel und Wege die Führung sieht, die Turbulenzen im Griff zu behalten bzw. die Kontrolle wieder zu erlangen.

Falsch ist, aus Angst, zu schwarz zu malen, ein geschöntes Situationsbild zu zeichnen. Unverzichtbar, die Belegschaft fortlaufend realistisch über die Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Die Entwicklung der Rahmenbedingungen für das Unternehmen und die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen engmaschig zu monitoren und bedarfsgerecht anzupassen.
Was in der Krise unter ganz speziellen Handlungsbedingungen gilt, gilt auch für den "Normal"-Betrieb: Die betriebliche Überlebensfähigkeit steht und fällt mit der Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung. 

Veränderung ist nicht mehr der begrenzte Schritt zwischen ausgeprägten Phasen der Kontinuität, Veränderung ist die heutige Kontinuität. Eine ganz andere Frage ist für Weegen, „ob diese hohe Weiterentwicklungsgeschwindigkeit bei Betrachtung all ihrer Auswirkungen noch einen erstrebenswerten Mehrwert bringt". Sie könne nur auf gesellschaftlicher Ebene gestellt und beantwortet werden.

Sehnlichste Wünsche

Was für Weegen aber sehr wohl in der Hand der Betriebe liegt, ist, die fordernde Ruhelosigkeit des wirtschaftlichen Geschehens nicht unmittelbar in die Betriebe durchschlagen zu lassen. Der in der Praxis sehr laut gewordene „sehnlichste Mitarbeiterwunsch, endlich einfach mal wieder in Ruhe arbeiten zu können", werde „eigentlich nur selten von den Veränderungen als solchen ausgelöst".
Ganz offensichtlicher Auslöser dafür sei "vielmehr das bei den in Angriff genommenen Veränderungen fehlende abgestimmte planvolle Vorgehen". Kurz, der Mangel an tatsächlich durchdachtem, die Mitarbeiter überlegt einbeziehendem Veränderungshandeln. 

Dadurch, das förderte vor einiger Zeit die Coverdale-Studie zur Veränderungsproblematik „Metastabilität und Rhythmus" klar zutage, fühlen sich die Mitarbeiter dann wie in einem Strudel hin- und hergeworfen und sehen in den Veränderungen und Innovationen nicht mehr tatsächlich aktuelle unverzichtbare Aktivitäten zur betrieblichen Zukunftsicherung, sondern nur noch Irritation, zusätzliche Belastung, Bedrohung, Druck. Und die einzige Vision, die dann noch ihr Denken und Trachten beherrscht, ist die, endlich mal wieder ungestört in Ruhe arbeiten zu können. (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.6.2009)