Nur mit der Kenntnisnahme seines ersten, 1968 erschienenen Hauptwerks lässt sich heute noch erschließen, wie und warum Jürgen Habermas als relativ junger Sozialwissenschafter das Szepter der "Frankfurter Schule" (Horkheimer, Adorno) übernahm, um es in der Folge verfassungsdemokratisch umzuschmelzen.

Wenn moderne Philosophie, wie Habermas darlegt, im Wesentlichen Erkenntniskritik ist, darf sie nicht länger an metaphysischen Grundlagen festhalten. Bereits mit Hegels Kritik an Immanuel Kants "Erkenntnissubjekt" , dessen Anschauungsformen im Vorhinein festgelegt waren, beginnt die Verabschiedung des erkennenden Ichs. Dieses ist sich selbst, in Bezug auf seine Voraussetzungen, nicht "durchsichtig" genug.

Das Subjekt muss daher seinen Platz als begründende Letztinstanz räumen. Zugleich treten neue Paradigmen der Wissenschaftlichkeit an seine Stelle. Die "subjektive Natur" des Menschen wird erst dann sinnvoll lesbar, wenn sie von der "objektiven Natur seiner Umgebung" unterschieden wird. Wusste bereits Karl Marx.

Habermas bemüht diesen und Comte, um in der Folge jene "pragmatische Wende" anzusteuern, die seine ganze künftige Argumentation bestimmen wird. Mit Blick auf Charles S. Peirce wird ihm jedes Wissen - zumal das wissenschaftliche - zum Ausdruck der dem Gewussten zugrunde liegenden Verständigungsverhältnisse. Wer Philosophie treibt, kann sich sozialwissenschaftlicher Forschung nicht enthalten. Die Rekonstruktion "objektiver Lebenszusammenhänge" tritt an die Stelle des vermeintlich vorab Gewussten.

Hier stellt Habermas die Philosophie vom Kopf der Theorie auf die bloßen Verständigungsfüße. Weil es keine Tatsachen gibt, die von den zuständigen Köpfen nicht auch schon interpretierend festgehalten würden, kann man die "gemeinsame Aufgabe" der Wirklichkeitserschließung nur "kommunikativ" , also im Leisten von Überzeugungsarbeit lösen. Damit ist der Bann gebrochen: Habermas wird fortan die Geltendmachung guter Gründe zum Wesen der Wahrheitsfindung erheben. Und voilà: Philosophie wird endgültig zur Gesellschaftswissenschaft (v)erklärt. (Ronald Pohl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.06.2009)

 

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