St. Pölten - Es ist still im "Kulturbezirk" der Landeshauptstadt, Laufkundschaft verirrt sich kaum ins Festspielhaus. Die Straßen versprühen den Charme eines Krankenhausflures, nicht hässlich, aber mehr konstruiert als lebendig.

Als Gegensatz positioniert sich das am Mittwoch eröffnete Festival Österreich Tanzt 2009 unter dem Motto Crossing Borders, also: Migration. Kuratorin Editta Braun beschäftigte die Frage: "Welches Potenzial geht Österreich verloren, wenn wir Grenzen dichtmachen?"

Dass neben Staatsgrenzen vor allem Barrieren im Kopf gezogen werden, verdeutlicht Janett Sumberas Installation trashBar. Endlose Plastiksackerl-Bahnen verhängen das kleine, geruchsfreie Müll-Café im ersten Stock. Die Hocker sind Wasserkanister, umwickelt mit alten Hemden, der Boden voller Fahrradreifen und Ramsch.

Müll, der kein Müll mehr ist. Geputzt, verschnürt, mit Zweck beseelt, wird aus dem Trash ein Möbel. Aufschriften wie "Step on" nehmen den Gästen die Scheu, auf alte Fetzen zu steigen. Den thematischen Bogen zur Performance schlägt die im Minimüllberg platzierte Fotoausstellung danse fugitive von Bettina Frenzel. Wie ein hastiger Blick auf Tänzer bannen die großformatigen Bilder Bewegungsvorgänge. Flucht als menschliche Bewegung - in Tanz übersetzt: Die Eröffnungsshow Traiskirchner Kunststücke 1 ist wohl als stimmige Antwort auf Brauns Eingangsfrage zu sehen.

Die internationale Gruppe, koordiniert von Silvia Both, erfand sich in Greifenstein. Dort strandeten die zehn Mitglieder aus Ländern wie Afghanistan oder Somalia: Sie sind allesamt Asylwerber, zum Teil mit laufenden Verfahren, willkürlich einem Wohnheim zugewiesen.

Flüchtiges Spiel

Dass einzelne Mitglieder jederzeit aus Österreich ausgewiesen werden können, macht die Performance zum flüchtigen Spiel. Die Ausdrucksform - ob Tanz, Gesang oder urösterreichisches Jodeln - blieb den Mitgliedern überlassen. Wie das ganze Festival lebt die Show vom mosaikartigen Charakter. Die Fragmente verbinden Gruppenszenen und Videosequenzen aus Proben im Heimalltag.

Die dynamische Show wird abrupt durch verlesene Originalzitate aus Asylverfahren unterbrochen. Franz Meister gibt den zynischen Amtsschimmel, der Begründungen für negative Aufenthaltsbescheide verliest, um danach genussvoll an einer braunen Bierflasche zu nuckeln. Das gibt der vielsprachigen Auseinandersetzung mit dem Leben auf der Flucht einen bitteren Schuss Amtsrealität.

Flucht ist auch Gegenstand von habibi problem. Die Performance kommt kühler daher als die Kunststücke, erzählt aber ebenso drastisch von zwei homosexuellen iranischen Jugendlichen. Einer wird im iranischen Gefängnis erschossen, sein Partner flüchtet ins europäische Exil.

Der Eröffnungsabend endet im festivaleigenen, arabischen Café, wodurch auch das stille Kulturviertel belebt wird. (Georg Horvath, Benjamin Koffu/ DER STANDARD, Printausgabe, 19.6.2009)