Fernando und Humberto Campana

Foto: Estudio Campana

 Sofa "Kaiman Jacaré"

Foto: Estudio Campana

Korbgeflecht wuchert über billige Monoblockgartenstühle, umschlingt Wasserkanister und umkrallt Leuchten. Überreste einer Wegwerfgesellschaft, die von der Natur zurückerobert werden. "Wie wäre es, wenn eines Tages die Erde mit Plastik bedeckt wäre?", fragten sich die Brüder Campana und gaben gleich die Antwort darauf: In dieser fernen Zukunft würden sich die Pflanzen dem Kunststoffboden anpassen.

Die Hybride aus Korbgeflecht und Kunststoff sind einer der Höhepunkte der Schau "Antikörper" im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Die Retrospektive zur Arbeit von Fernando und Humberto Campana umfasst die Zeit zwischen 1989 und 2009. In diesen zwei Dekaden haben sich die brasilianischen Brüder einen festen Platz in der Designszene erobert. Einfache Materialien, Handarbeit und Umweltbewusstsein sind das Markenzeichen der preisgekrönten Designer. "In unserem Werk geht es um Ansteckung: So wie die Welt uns infiziert hat, wollten auch wir die Welt infizieren", erklärt Humberto Campana.

Antikörper gegen das Campana-Werk hat das europäische Publikum bisher kaum bilden können. Denn ein Großteil ihrer Arbeit mündet in limitierte, viel zu selten sichtbare Serien oder Unikate. Die Vitra-Schau ist eine heitere und gleichzeitig zum Nachdenken anregende Ausstellung, die bisher weitgehend unbekannte Facetten zeigt. In acht Gruppen versammelt Kurator Mathias Schwartz-Clauss die Exponate - Prototypen, Studien und Modelle. Schaukästen mit Objekten aus der Sammlung der Brüder lassen den Besucher in die persönliche Welt der Designer blicken.

Ihre Zusammenarbeit begann Anfang der 1980er-Jahre, als Fernando Campana sein Architekturstudium abgeschlossen hatte und Humberto nach seiner Ausbildung als Jurist sich der Kunst zugewandt hatte. Schon die ersten gemeinsamen Arbeiten - rostige Metallskulpturen, die mehr wie Plastiken denn Möbel wirken - sorgten für eine Sensation in der Kunstszene von São Paulo. Noch ihre heutige Arbeit changiert zwischen Kunst und Design. So zeigt in der Ausstellung die Gruppe der Objets Trouvés, auf welche Weise die Brüder die Prinzipien der Surrealisten neu beleben: Billige Alltagsgegenstände werden in einen neuen Kontext gebracht und dadurch nobilitiert. Im Sessel "Plastico Bolha" wird Luftpolsterfolie zum Polster, insgesamt 450 Meter geknotetes Seil bildet den "Vermelha Chair".

Das Recycling vorgefundener Materialien durchzieht ihr gesamtes OEuvre. Ihr bekanntestes Produkt, den aus Holzabfällen zusammengezimmerten und heute von Edra produzierten "Favela"-Stuhl, benannten die Brüder nach den Elendsvierteln São Paulos. Brasilien sei, so die Brüder, ihre größte Inspirationsquelle: "Alles inspiriert uns, das urbane Chaos, die soziale Vielfalt, die Favelas und die üppige Flora und Fauna." Für Edra entstanden Arbeiten, die die brasilianische Natur ins Haus holen: Seesterne, Boas und Kaimane standen Pate für opulente, betörend weiche Sitzgebilde.

Humorvoll und ironisch, umweltbewusst und chaotisch zeigt sich das Werk der Campanas in der Retrospektive. "Kreativ sein, heißt vergnügt sein - auch wenn die Welt rabenschwarz ist", erklärt Humberto Campana. Ganz in diesem Sinne konzediert Edra-Kreativdirektor Massimo Morozzi den Brasilianern: "Sie sind keine Designer. Sie sind eine Therapie." (Andrea Eschbach / DER STANDARD, Printausgabe, 19.6.2009)