Foto: Sonia Leimer


Sonia Leimers Atelier: Außenansicht des zum Abriss freigegeben Häuschens und großzügiger Arbeitsraum im Inneren.

 

Foto: Sonia Leimer
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Installationsansichten von The Last Museum (2007) im Wiener bell street project space und (unten) Laura Lee Burroughs Vorlage zur Gestaltung von Blumenarrangements zur Innenraumgestaltung: Homes and Flowers.

 

Foto: Sonia Leimer

 

Projektionsflächen für Fiktionen: Not enough detail is given for a reconstruction, however (2009) vor dem Künstlerhaus Kino Wien.

 

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Stills aus Sonia Leimers Video Chinese Wall (2008) und der BBC-Dokumentation über Dschingis Khan sowie (unten) Installationsansicht der Arbeit mit architektonischer Inszenierung.

 

Links:
http://sonialeimer.net
www.bellstreet.net
www.k-haus.at
www.saprophyt.net

Foto: Sonia Leimer

Den Dachboden darf sie aufgrund von Brandschutzbestimmungen zwar nicht benutzen, aber beim Atelier, das sich Sonia Leimer mit ihrem Kollegen Josh Müller teilt, ist das auch nicht unbedingt notwendig: Unverputzt und für den Abriss freigegeben, steht ein Häuschen mit großen Fenstern hinter dem perfekt renovierten Hauptgebäude der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst. Der frühere Bau der veterinärmedizinischen Universität war einmal Teil des Anatomiegebäudes. Neben jeder Menge Stauraum fasst es zwei großzügige Ateliers mit einer Gesamtfläche von rund 150 Quadratmetern - Platz genug also in dieser etwas skurrilen und patinierten Arbeitsinsel mitten am Uni-Parkplatz, die luftiger nicht sein könnte.

"In rund drei Jahren soll das Gebäude abgerissen werden," sagt Sonia Leimer, die gerade von einer Recherchereise aus New York zurückgekommen ist: "Aber dieses Datum verschiebt sich immer wieder nach hinten - hoffentlich." Die New-York-Reise hat sie sich über ihr Staatsstipendium für bildende Kunst finanziert, so wie sich viele ihrer Reisen und die dazugehörigen verwobenen Erzählungen durch Einladungen, Stipendien und nicht zuletzt durch den Zufall ergeben.

Rückblicke

Während des MAK-Schindler Stipendiums in Los Angeles etwa hat Sonia Leimer den im Jahr 2007 verstorbenen Schiftsteller Steven Lowe kennengelernt hat. Lowe, langjähriger Freund, Wegbegleiter und Assistent von William S. Burroughs, hat bis zu seinem Tod das Beat Hotel in Desert Hot Springs mitten in der kalifornischen Wüste betrieben. Von ihrem Besuch dieses Ortes erzählt sie: "Das war eine schöne Begegnung mit einem Mann, der sehr viel Energie in diese Mischung aus Hotel und Museum steckte. Es wurde von ihm als Symbiose der beiden historischen Beat Hotels aus den 1960er Jahren in Paris und Tangier konzipiert."

Der Ort, der seine Aura in detailgetreuen architektonischen Nachbildungen der 1950er und 1960er Jahre und in unzähligen Relikten aus der Zeit der Beat-Generation entfaltet, fungierte für Leimer während ihres Aufenthaltes in Los Angeles gleichzeitig als ein Ort des Rückzugs und der Vertiefung in die Geschichte einer ganzen Generation: "Was jetzt nach Steven Lowes Tod mit dem Gebäude passiert, bleibt offen. In einem Video-Interview, das ich damals mit dem Schritsteller geführt habe, beschreibt er sein Hotel als 'interpretative site'", ist die Künstlerin von diesem Begriff angetan.

Kreuzungspunkte

Ihre Begegnung mit dem Autor, den Besuch des Hotels und ihre Recherchen zur Beat Generation hat Sonia Leimer schließlich künstlerisch in der Arbeit The Last Museum (2007) im Wiener bell street project space umgesetzt. Ausgangspunkt für die Installation in diesem Ausstellungsraum sind Begriffe, die William S. Burroughs immer wieder aus den Texten seiner Mutter Laura Lee Burroughs entlehnte. In Homes and Flowers beispielsweise, eines ihrer Bücher zum Thema Blumenarrangements zur Innenraumgestaltung, beschreibt sie ein Piratenschiff aus Blumen, das Steven Lowe und ihrem Sohn unmittelbar als Inspirationsquelle für den Roman Cities of the Red Night dienen sollte.

"Zum einen sind die Frauen in der Beat-Generation völlig untergegangen - dem wollte ich etwas entgegenhalten", sagt die Künstlerin, "zum anderen fußt die Arbeit auch auf der Idee, die unterschiedlichen Generationen miteinander zu verbinden." Diese Schnittstellen zwischen den Zeiten formuliert Sonia Leimer, indem sie Laura Lee Burroughs Vorschläge für heute extravagant und mondän wirkende Blumenanordnungen im Stil der 1950er Jahre in die Tat umsetzt. Ganze Bücher von William S. Burroughs - etwa Junkie oder Nova Express - faltet sie zu Origami-Blumensträußen und arrangiert sie zu floralen Textgebilden. In diesen Papierskulpturen setzt sie die Cut-Up-Technik der Beatniks mit dem ästhetischen Empfinden einer Zeit in Relation und überträgt diesen Vorgang in den Ausstellungsraum der Gegenwart.

Notwendigkeiten

Auf die Frage nach Vorbildern für ihre künstlerische Arbeit antwortet Sonia Leimer - wider Erwarten - nicht mit den Beatniks. Während ihres Studiums der Architektur an der Technischen Universität sowie der Akademie für bildende Kunst Wien habe sie sich lange Zeit mit der Situationistischen Internationale um Jacqueline de Jong, Asger Jorn und Guy Debord auseinandergesetzt. "An dieser Bewegung interessiert mich, dass ihre VertreterInnen aus unterschiedlichen Richtungen kommen: Literatur, Soziologie, bildende Kunst." Als Vorbild würde sie die SituationistInnen aber nicht bezeichnen: "Eher als etwas, das einen prägt."

Dass die Rolle der Stadt in Kunst und Politik eine zentrale Rolle einnimmt, zeigt sich immer wieder an Sonia Leimers Interventionen im öffentlichen urbanen Raum, die durchaus in der Tradition der SituationistInnen zu verstehen sind. Mit der poetischen Arbeit Not enough detail is given for a reconstruction, however (2009) bespielt die Künstlerin im Moment die Fahnenmasten vor dem Wiener Künstlerhaus mit so genanntem Greenbox-Stoff, der bei Filmaufnahmen eingesetzt wird und dessen Oberfläche es erlaubt, nach den Dreharbeiten digitales Bildmaterial hinzuzufügen.

"Die Fahnen können als Projektionsflächen für digitale und fiktive Geographien, Zeiten und Gemeinschaften gelesen werden", so Leimer. Die Installation wird durch eine Postkarte ergänzt: Auf der Voderseite eine monochrome grüne Fläche, ist auf ihrer Rückseite der innere Monolog einer Schauspielerin zu lesen, die über die Widersprüche ihrer unterschiedlichen Identitäten als Schauspielerin und Mensch im Laufe der Zeit nachdenkt.

Übergangsräume

Mit den Überlagerungen historischer künstlerischer Kontexte und deren Zusammenführung und Weiterentwicklung in einem zeitgenössischen Umfeld, referiert Sonia Leimer immer wieder auf die Wahrnehmung von Zeit: "Das ist beispielsweise auch bei den SituationistInnen der Fall, wenn sie mit Psychogeographien arbeiten. Es gibt immer mehrer Zeitebenen: die historische Zeit, die filmische Zeit und schließlich jene Zeit, die ich dann mit einer künstlerischen Bearbeitung darüber lege."

Um ein stark temporales Moment geht es auch in ihrer Videoinstallation Chinese Wall (2008), die sie in der Mongolei realisiert hat. Sonia Leimer wurde während einer Residence von einer finnischen Künstlerin eingeladen, an einem Austausch zwischen den beiden Städten Helsinki und Ulan Bator teilzunehmen. Auf ihrer Reise durch die Mongolei hat sie in der Steppe die verwaiste Filmkulisse einer Chinesischen Mauer gefunden, die einmal für den Dreh einer BBC-Dokumentation über Dschingis Khan gedient hatte.

Möglichkeiten

In diesem markanten Setting hat sie mit der selben mongolischen Filmcrew, die auch von der BBC engagiert worden war, ein Video gedreht. Das Ergbnis dieser Verdoppelung und Rekonstruktion zeigt sie nun parallel zur BBC-Doku im Ausstellungsraum, überlagert damit den ursprünglichen Zweck der Filmruine und fiktionalisiert sie neu. "Obwohl es in der Mongolei nicht an technischen Geräte fehlt, dauert dort alles sehr lange," sagt Leimer, "und die Zeit dehnt sich zusätzlich durch die langen Distanzen und durch die Hitze noch einmal mehr aus." Für eine Szene von Chinese Wall, in der sie Schafe vor der Filmkulisse aufnehmen wollte, musste sie mit Hilfe der mongolischen Filmcrew Hirten fragen, ob sie nicht am Weg zur Wasserstelle einen Halt einlegen wollen.

"Alles hätte passieren können, aber auch nichts, manche der Hirten sind gekommen, manche nicht." Der Zufall scheint sich wie ein roter Faden durch Sonia Leimer Begegnung mit Menschen und Themen zu ziehen. "Der Zufall," sagt sie etwas nachdenklich, "entwickelt sich in Situationen, die man offen lässt ..." - Je offener, desto besser: dérive. (fair, derStandard.at, 29.06.2009)