Iran 2009: Protest mit Handy, Twitter und Facebook

Mit seinen schnell gedruckten, leicht verteilbaren Flugschriften zur Stärkung der Moral der unerfahrenen Unabhängigkeitsarmee ging Thomas Paine als „Pamphleteer" in die Geschichte der amerikanischen Revolution ein. Seine Worte fielen auch im vorrevolutionären Paris auf fruchtbaren Boden, wo rund 200 Jahre später ein graubärtiger Ayatollah Khomeini im Exil seine umstürzlerischen Reden auf Tonbandkassetten sprechen sollte. Kaufleute und Mullahs schmuggelten die Podcasts ihrer Zeit in den vom Schah beherrschten Iran, wo sie bald von den Minaretten schallten.

„Tweets"

Heute wird die „Grüne Revolution" (nach der Wahlkampffarbe von Mir-Hossein Mussavi) nicht im Fernsehen übertragen, das von Störsendern des Regimes behindert wird, sondern in „Tweets" verkündet. Twitter, der von seinen Gründern gern als „Telegraf der Online-Ära" titulierte Webdienst, um maximal 140 Zeichen lange „Tweets" zu veröffentlichen, ist zur Kommunikationsdrehscheibe iranischer Oppositioneller, der iranischen Diaspora und ihrer Unterstützer in aller Welt geworden.

„Killed yesterday - Teh: Mina Ehterami, Fatemeh Barahati, Kasra Sharafi, Kambiz Shojaei, Mohsen Imani #gr88", „Protest in Tehran will be at 5PM Valias Str.", „Ahmadinejad Pictures released having run away to Russia In fear (confirmed) #iranelection": Hunderte Tweets erscheinen stündlich wie ein Live-TV-Feed aus dem Iran. Berichte über Opfer, Aufrufe zur Organisation, Nachrichten von Mussavi, technische Instruktionen zur Umgehung der iranischen Internetfilter wechseln sich mit Posts aus der internationalen Community in chaotischer Reihung. Viele Tweets sind Wiederholungen („ReTweet") früherer Meldungen, um den Empfängerkreis zu verbreitern; manche sind Übersetzungen vom Persischen ins Englische: nicht erst seit den Massendemos in Teheran Sprache des Widerstands.

Widerstandsfähigkeit

Twitter, das im Herbst 2006 gegründet wurde und in Österreich sei Jahresbeginn boomt (derzeit an 23. Stelle der 100 meistbesuchten Websites, hinter Ebay und Youporn, vor Geizhals) wurde nicht zufällig Drehscheibe für aktuelle Ereignisse, wie schon zuvor bei den Protesten in Moldau oder den Terroranschlägen in Mumbai.

Anders als Fotos und Videos, die gute Internetverbindungen zum Transport brauchen, kommt das textbasierte Twitter auch noch zurecht, wenn das Regime durch Drosselung der Verbindungsgeschwindkeit hofft, auch die Online-Opposition abzuwürgen. Und es ist, 140 Zeichen lang, schnell zu posten, schnell und auch am Handy leicht zu lesen, während sich der Strom der Tweets zu einer oft verwirrenden, aber für Teilnehmer verständlichen Geschichte verwebt.

Filtersoftware

Seit Jahren bemühen sich vor allem der Iran und China darum, das anarchische Netz in den Griff zu bekommen. Zum 20-jährigen Gedenken an Tiananmen führte China ein neues Werkzeug der Repression ein: Filtersoftware („Grüner Damm Jugendschutz"), die ab Juli auf jedem PC in China installiert sein muss. Diese funktionieren ähnlich einem Pornofilter: Missliebige Webseiten - vorgeblich mit pornografischen Inhalten, aber jede andere Seite kann leicht gesperrt werden - können dadurch nicht besucht werden.

Auch dieser jüngste Versuch des direkten Zugriffs auf die PCs chinesischer Bürgerinnen und Bürger zeigt, wie hoffnungslos langfristig das Katz-und-Maus-Spiel um Kontrolle und ihre Umgehung ist. Binnen weniger Tage entdeckten Computerwissenschafter Sicherheitsmängel in der Software, die Zugriffe auf die jeweilige PCs erlauben - auch zum Nachteil des Zensors.

Proxy

Während sich, wie derzeit im Iran, Radio- und TV-Übertragungen leicht stören lassen, zeigt sich das Internet resistenter. Der Hauptgrund liegt in seiner Architektur: Es wurde so konstruiert, dass es auch massive Störungen einzelner Streckenteile (im Falle eines Atomkriegs) umgehen kann - diese Fähigkeit wird jetzt zum Umgehen von Regierungsblockaden genutzt. Dabei erhält die iranische Opposition Hilfe aus der internationalen Netz-Community - unter anderem durch sogenannte „Proxyserver" (quasi Mittelsmänner für Datenströme), die bei gesperrten Webseiten einen anderen Weg zu Twitter und Konsorten anbieten.

Abschalten der Telekom-Infrastruktur wäre die einzige Methode, hart durchzugreifen - aber dadurch wird auch das jeweilige Regime blind, stumm und taub. (helmut Spudich Der Standard Printausgabe, 17. Juni 2009)