Ödön von Horváth und Kritzeleien aus seiner Hand für "Kasimir und Karoline".

Abb.: aus Profile 8 und dem bespr. Band

Wien - Spät fand die Stille (Stille.) in Ödön von Horváths Kasimir und Karoline. Längst war Karoline, die Schönheit von Haidhausen, wie das Stück in ersten Vorarbeiten hieß, umgesiedelt aus den Schrebergärten der Münchner Vorstadt ins lockere, lockende Ambiente des Oktoberfests.

Stille und musikalische Intermezzi arbeitete Horváth in die vierte und gültige Konzeption des Dramas ein, gemeinsam mit der Umstrukturierung der Gliederung: Die ehemals sieben Bilder verwandelten sich in 117 Kürzestszenen, die durch Musik und die weit über einhundert Male wiederholte Regieanweisung (Stille.) rhythmisiert wurden.

Denn Kasimir und Karoline, das 1932, nach einer Vorpremiere in Leipzig, in Berlin uraufgeführt wurde, war keine schrille Satire auf die bayerische Provinz. Eine Lesart, der Ödön von Horváth in einem Briefentwurf widersprach: "Es ist überhaupt keine Satyre, es ist die Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut mit der Ambition, eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heisst durch die alltägliche Erkenntnis: ‚Sterben müssen wir alle!‘"

Eine dramatische Ballade

Dass wir die Genese der dramatischen Ballade von morgen an in allen ihren Einzelheiten nachvollziehen können, ist zum Teil dem Umstand geschuldet, dass vor einem Jahr der Urheberrechtsschutz auf Horváths Werk auslief.

Am 1. Juni 1938 war Ödön von Horváth im Pariser Exil auf den Champs Elysées von einem fallenden Ast erschlagen worden. Einundsiebzig Jahre später wagt sich ein Team um Klaus Kastberger vom Österreichischen Literaturarchiv an das Großunternehmen einer ersten historisch-kritischen Ausgabe seiner Werke.

Morgen, Donnerstag, am Abend wird mit Kasimir und Karoline der erste Band der sogenannten Wiener Ausgabe im Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek präsentiert. An ihm lässt sich die Vorgangsweise der Wissenschafter um Klaus Kastberger exemplarisch studieren. Streng chronologisch reihen die Forscher Konzeption um Konzeption, rekonstruieren ursprüngliche Entwürfe, die Horváth für spätere Einfälle zerschnitten und neu zusammengeklebt hatte, aus dem Nachlass und ergänzen sie um Faksimiles früher Konzeptblätter und Notizen, um erläuterndes Vorwort, Kommentarteil und Simulationsgrafiken zur Genese. Ein bis zwei Bände pro Jahr sollen im Verlag Walter de Gruyter erscheinen, leider zu einem nur für Bibliotheken erschwinglichen Preis von, beim aktuellen Band, 289 Euro (Subskriptionspreis 239 Euro). Für die schwächere Kasse aber sorgen Reclam-Bände, angereichert mit üppigem Material aus der Forschungsarbeit. Neben Kasimir und Karoline existieren hier schon Jugend ohne Gott und Geschichten aus dem Wienerwald. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 17.06.2009)