Die Ergebnisse im Detail.

Grafik: STANDARD
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Cartoon: Oliver Schopf

Karrikatur: Oliver Schopf

Cartoon: Oliver Schopf

Ein Fünftel der Bevölkerung kann sich sehr oder ziemlich gut vorstellen, "einen starken Führer zu haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss" . Dieser Befund stammt nicht etwa aus einer afrikanischen Militärdiktatur, nein, er ist eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der aktuellen, breit angelegten Wertewandel-Studie, die in Österreich 2008 - und damit zum dritten Mal - durchgeführt wurde (siehe dazu auch Grafiken unten). Mithilfe dieser Umfrage wird traditionell der Wandel der Einstellungen der Bürger in ganz Europa untersucht, und zwar in Zeitabständen von rund zehn Jahren.

Starker Mann gefragt

Was unser Land betrifft, förderte das Herausgeber-Trio Regina Polak, Ursula Hamachers-Zuba und Christian Friesl zutage, dass sich die Österreicher "zunehmend gegenüber der Politik verweigern" .

Dies manifestiere sich einerseits an ihrem "geringen politischen Interesse" . Zum anderen, stellen die Studienautoren fest, dass das Vertrauen in die Institutionen "in teils beängstigendem Ausmaß sinkt" - weil eben selbst die Demokratie nicht mehr unumstritten sei. 1999, bei der letzten Befragung, konnten sich nämlich "nur" 15 Prozent der Landsleute vorstellen, von einem starken Mann angeführt zu werden.

Die politische Positionierung hat übrigens keinen Einfluss darauf, wie stark die Sehnsucht nach einem Führer ausgeprägt ist. Wer der FPÖ nahesteht, antwortet diesbezüglich ähnlich wie der Durchschnitt. Deutlich stärker für die autoritäre Variante entscheiden sich allerdings ausländerfeindliche Menschen, etwa jene, die "sich wie Fremde im Land fühlen" (34 Prozent) und solche, die Zuwanderung "generell verbieten" möchten (57 Prozent).

Noch ein überraschendes Ergebnis: Mittlerweile sieht es die Hälfte der Österreicher (exakt 51 Prozent) für gut an, wenn "Experten und nicht die Regierung darüber entscheiden, was für das Land das Beste ist" . Und sechs Prozent halten es gar für erstrebenswert, dass "das Militär das Land regieren" sollte. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren fand diese Vorstellung bloß ein Prozent verlockend.

Was nervt denn die 1500 repräsentativ Befragten so am "System" ? Vier von zehn Österreichern meinen, Demokratien seien "entscheidungsschwach" , und es gäbe "zu viel Zank und Hader" .

Diese Ergebnisse qualifizieren die drei Autoren jedenfalls explizit "als ernsthaftes Krisensignal für die österreichische Demokratie" . Und Herausgeber Friesl ergänzt: "Im siebtreichsten Land der Welt gibt es zwar eine hohe Lebenszufriedenheit, gleichzeitig aber eine extrem hohe Unzufriedenheit mit der Politik." Viele Menschen, die mit "ihrem Leben unglücklich sind" , also jene, die sich schwertun, mit Freiheit und Pluralität umzugehen, hätten im Jahr 1999 Jörg Haider gewählt, analysiert der Experte. "Sie haben auf Ordnung und Sicherheit gehofft. Aber sie wurden enttäuscht und hadern nun mit dem System."

Am besten ab in die Heimat

Apropos Haider: Der Aufstieg des mittlerweile verstorbenen Kärntner Landeshauptmannes als damaliger FPÖ-Chef war unter anderem eng mit seiner erfolgreichen zuwanderungsfeindlichen Politik verknüpft. Seit Anfang der Neunziger, hält die Wertestudie fest, ist die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen sogar gestiegen. So verlangen etwa acht von zehn Österreichern, dass "Ausländer ihren Lebensstil ein bisschen besser an den der Inländer anpassen" sollen. Und immerhin die Hälfte (49 Prozent) meint sogar, dass man Ausländer ruhig "wieder in ihre Heimat zurückschicken sollte, wenn Arbeitsplätze knapp werden" .

Zu diesem Datenmaterial ergänzt Friesl im Gespräch mit dem Standard: "Haider kann man zwar nicht direkt mit diesem Anstieg in Zusammenhang bringen. Was sich aber sagen lässt, ist: Wer Fremdenfeindlichkeit fördert, der unterhöhlt die Demokratie. Und das ist nicht nur ein Vorwurf an die FPÖ, sondern auch an jene Parteien, die zu wenig dagegen tun." Die Großparteien, meint Friesl, hätten "es jahrelang versäumt, tragfähi-ge Integrationskonzepte vorzulegen" .

Was verlangen die Österreicher der Politik überhaupt ab? Was sind ihre Ziele fürs Land? An erster Stelle liegt "der Kampf gegen steigende Preise" , den ein Drittel als wichtigstes, ein Fünftel als zweitwichtigstes Ziel nennt - diese hohen Werte erklären sich freilich auch daraus, dass die Befragung während des letzten Nationalratswahlkampfes stattfand, in dem sich die Parteien heftige Streits um die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise lieferten.

Fast ebenso viele, nämlich 52 Prozent der Bevölkerung, möchten "mehr Einfluss der Bürger auf Entscheidungen der Regierung" und formulieren das Ziel, "Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten" . Dagegen tritt das Vorhaben, "Recht auf Meinungsfreiheit schützen" , weit in den Hintergrund.

Überhaupt zeigt die Befragung eine Neigung der Österreicher zum Autoritarismus auf, was ihre Werte betrifft. 27 Prozent stimmen immer noch dem Satz zu: "Wo strenge Autorität ist, dort ist auch Gerechtigkeit." 40 Prozent meinen: "Das Wichtigste, was Kinder lernen müssen, ist Gehorsam." Von den Parteienpräferenzen her ist der Autoritarismus eher eine Sache von FPÖ- und SPÖ-Anhängern (40 beziehungsweise 39 Prozent), ÖVP- sowie BZÖ-Wähler liegen mit 29 und 26 Prozent im Durchschnitt, Grün- und LIF-Sympathisanten mit zwölf und neun Prozent deutlich darunter.

Das bedenkliche Ergebnis der Untersuchung lautet daher: Während die Gruppe der "Autoritären" hierzulande in den letzten Jahren "stetig und deutlich" gewachsen ist, sind die "liberalen Idealisten" mittlerweile noch weniger als früher geworden. (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, Printausgabe, 15. Juni 2009)