Gewiss: Alle Initiativen, die der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit dienen, sind zu begrüßen, auch wenn zu erwarten ist, dass viele im Ritual erstarren und den persönlichen Bezug vermissen lassen. Aktuelle Anlässe jugendlichen Irrgangs (siehe die Vorfälle in Mauthausen und Ebensee) drängen zu bildungspolitischen Handlungen, die angesichts ihrer Zielsetzung doch mehr eine Hilflosigkeit dokumentieren und die Illusion aufrechterhalten, man könne durch diese Aktivitäten tiefere Seelenschichten von Jugendlichen erreichen. Jahrzehntelanges politisches und familiäres (Ver-)Schweigen sind nicht durch einzelne pädagogische Maßnahmen aufzuheben. Identifikationen mit den heimatlichen Orten der Kindheit und engsten Bezugspersonen wirken über Generationen hinweg - vor allem im Unbewussten. So überleben etwa in der familiären Runde, im Freundeskreis längst verschüttgeglaubte nationalsozialistische Werthaltungen in der Alltagssprache und: in Witzen.

Antisemitische, den Holocaust verharmlosende Witze sind kein neonazistisches Phänomen, sondern seit Jahrzehnten Teil jugendlicher Kommunikation. Nur: Aktuell werden sie öffentlich wahrgenommen, lauter erzählt, weil sich vor allem durch politische Repräsentanten die (un-)verschämten Grenzen der historischen Perspektiven verschoben haben, die den Sichtweisen der Vergangenheit vieler Eltern und deren Eltern nahe sind.

Die Lust beim Witz entspricht dem ersparten Hemmungsaufwand - so die zentrale Aussage Sigmund Freuds, der uns Wege eröffnete, die Beziehung von Witz und Unbewusstem zu ergründen. Der Witz schafft Erleichterung. Er ermöglicht es, durch psychischen Kraftaufwand Unterdrücktes, Tabuisiertes kommunizierbar zu machen. Der Witz braucht die Gemeinschaft, will in aller Kürze die Lacher auf seine Seite ziehen und verwandelt den anfänglich indifferenten Zuhörer, so Freud, "in einen Mithasser und schafft dem Feind ein Heer von Gegnern, wo erst nur ein einziger war" .

Die Pointe überrumpelt das Bewusstsein und trifft sich mit den unter Druck gehaltenen Inhalten: zuvorderst (Homo-)Sexualität, Autoritäten sowie auch Antisemitismus und die Verharmlosung des Holocaust.

Seit vielen Jahren versuche ich mit Psychologiestudenten und Studentinnen der aktuellen Witzkultur auf den Grund zu gehen. Kaum einer der Studierenden, der nicht mit letztgenannten Witzen in Berührung kam, viele, die zumindest durch ein Schmunzeln den Witz als Witz bestätigten und erst in der Analyse ihre eigene historisch-soziale Herkunft erkennen mussten.

Im Laufe der vielen Jahre haben wir hunderte Witze gesammelt. Einer der häufigsten: "Mein Großvater ist im Konzentrationslager gestorben. - Er ist besoffen vom Wachtturm gefallen." Ein makabrer Witz, der anfänglich zur Einfühlung verführt, um schließlich in der Pointe die persönliche, tatsächlich historische Nähe zu verraten.

Vielen Studierenden ist das Lachen vergangen. Es gab aber auch einige, die nicht erkennen konnten, wie nah sie unbewusst einer Geisteshaltung waren, die sie (groß-)elterlich begraben glaubten, aktuell sogar politisch bekämpften und daher mit Abwehr, gar mit Aggression reagierten. Allein die Analyse des Witzes wurde oft als persönlicher Angriff empfunden. Diese Reaktion ist ernstzunehmen, auch wenn es schwer ist, weil oft Verstehen mit Entschuldigung gleichgesetzt wird. - Es erfordert psychische Anstrengung, sich den eigenen unbewussten Verstrickungen mit einer Tätergeschichte zu nähern, und es ist bequem, die infantilen Idealisierungen aufrechtzuerhalten. Das haben ein Haider, Strache, Graf oder Kickl verstanden, indem sie mit ihren kontinuierlichen Tabubrüchen Räume der psychischen Erleichterung eröffnen, um sich und anderen eine schmerzhafte Aufarbeitung zu ersparen. Räume, die Neonazis nicht mehr zu suchen brauchen, sondern vor allem Jugendliche, die oft überfordert sind, die belastete Geschichte ihrer familiären Heimat auch als die ihre anzuerkennen.(Karl Fallend, DER STANDARD-Printausgabe, 13./14.6.2009)