Literatur ist kein Sonntagsgeschäft - auch wenn die Verquickung der Berufsstände Pfarrer und Schriftsteller literaturgeschichtlich nicht ganz von der Hand zu weisen ist (Eduard Mörike, Jeremias Gotthelf oder - aktuell in Wien: Ernesto Cardenal).

3sat sieht das gelassener. Die Sendung Lyrik für alle nimmt es allwöchentlich Sonntagfrüh um 9 Uhr fünf auf frappante Weise mit einem Wortgottesdienst auf. Seit 1993 (seit 2005 auf 3sat) stellt sich dort der deutsche Autor und Rezitator Lutz Görner jeweils zehn Minuten lang in den Dienst der guten Sache und präsentiert Gedichte vor allem deutschsprachiger Autoren. 

In einem jedem Landpfarrer zur Ehre gereichenden weiten, bis zum Kragen zugeknöpfen Hemd tritt er regelmäßig vor die Mattscheibe und würzt seine Vorträge stets mit einfühlsamem Schauspiel. - Und disqualifiziert damit die Expressivität der Sprache. Die Sendung kolportiert ein übliches Missverständnis, das auf populäre Art (romantisches) Einfühlein mit Lyrik verknüpft. Nachzuschauen auf www.rezitator.de.

Einer der Höhepunkte dort ist Kurt Schwitters' Dada-Schmonzette An Anna Blume, die Lutz Görner als Liebespoem à la Richard Claydermann interpretiert. Umgekehrt verfinstert sich Görners Miene bei Bert Brechts Abbau des Schiffes Oskawa durch die Mannschaft. Diesen Sonntag ist Hilde Domin dran...  (Margarete Affenzeller, DER STANDARD; Printausgabe, 13./14.6.2009)