Markus Marterbauer, "rotes Tuch" für die IV.

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Kritik an staatlichen Regulierungsmaßnahmen und Beschäftigungsprogrammen offenbart "erschreckendes Unverständnis volkswirtschaftlicher Zusammenhänge": Replik auf einen Kommentar von Andreas Schnauder.

Nach Ansicht des Wirtschaftsressortleiters des STANDARD, Andreas Schnauder ("Krisenverlängerung", 4. 6.), würden staatlich Konjunkturpakete nur den Aufschwung verzögern und die tiefe Wirtschaftskrise nur durch eine Reduktion der Lohnkosten der Unternehmen (lies: umfangreiche Entlassungen) rasch bewältigt werden.

Diese Sichtweise offenbart erschreckendes Unverständnis gegenüber fundamentalen volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Denn die Kosten für den einen Wirtschaftsakteur sind gleichzeitig die Einkommen anderer Wirtschaftsteilnehmer. Was für den Einzelbetrieb sinnvoll erscheint – eine Reduktion der Lohnkosten, um die Krise zu überleben -, führt gesamtwirtschaftlich zu enormem Schaden: Denn eine Verringerung der Einkommen würde den letzten noch stabilen Faktor der privaten Nachfrage, den Konsum der Haushalte, einbrechen lassen und somit die Krise dramatisch verschärfen.

Schnauders Rezept erinnert an die 1930er-Jahre, als man noch nichts von Makroökonomie verstand und Staatseingriffe in der Weltwirtschaftkrise kategorisch abgelehnt wurden. Die verheerenden Folgen sollten bekannt sein.

Ein Teil der weltweiten Konjunkturmaßnahmen mag zu spät gekommen sein, wie etwa die Krisenpakete in Deutschland, unsachgemäß oder wirkungslos gewesen sein, wie die Verschrottungsprämie für Autos oder die umfangreiche Steuerentlastung für Besserverdiener in Österreich. Doch insgesamt trägt der massive Staatseingriff in den USA und in der EU entscheidend dazu bei, das Ausmaß des Wirtschaftseinbruchs zu beschränken.

Wir befinden uns jetzt in einer besonders heiklen Phase der Krise. Angesichts des massiven Anstiegs der Arbeitslosigkeit droht sich die Rezession auf die Konsumnachfrage der Haushalte zu übertragen. Deshalb gilt es nun um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Zwei Instrumente sind besonders wirksam: zum Ersten eine markante Verkürzung der Arbeitszeit zur Rettung der bestehenden Arbeitsplätze in der Industrie. Von den 600.000 Industriejobs ist ein Drittel gefährdet. Kurzarbeit ermöglicht die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf möglichst viele Beschäftigte. Die von Sozialminister Hundstorfer vorgeschlagene Verlängerung auf 24 Monate ist höchst sinnvoll. Gewinne und Löhne waren in den exportorientierten Branchen in den letzten Jahren so hoch, dass zusätzliche Solidarbeiträge von beiden Seiten erwartet werden können. Weitere Formen der Arbeitszeitverringerung sollten rasch entwickelt werden, wo leistbar, auch ohne Lohnausgleich. Der Urlaubsanspruch könnte an Stelle von Lohnerhöhungen im Rahmen der Kollektivverträge ausgeweitet, die Bildungskarenz interessanter gemacht werden.

Zum Zweiten sollte so rasch als möglich die Beschäftigung im Bereich öffentlicher und sozialer Dienstleistungen erhöht werden. Der Bedarf ist vor allem bei den Gemeinden in den Kindergärten, der Nachmittagsbetreuung, der Sozialarbeit und im Pflegewesen hoch. Der Beschäftigungseffekt dieser Maßnahme wäre außerordentlich groß. Die gerade in Kraft getretene Senkung der Einkommensteuer im Ausmaß von drei Milliarden Euro bringt über eine Erhöhung der Konsumnachfrage nur 10.000 bis 15.000 zusätzliche Jobs. Das gleiche Geld, in direkte öffentliche Beschäftigung investiert, würde 60.000 bis 75.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Arbeitsplätze, die wir angesichts des Beschäftigungseinbruchs dringend benötigen.

Wegen der ungünstigen Budgetlage sollte dieses Beschäftigungspaket nicht über zusätzliche Staatsdefizite, sondern über eine möglichst sofortige Erhöhung der Vermögenssteuern finanziert werden. Negative Konjunktureffekte braucht man davon kaum zu befürchten. Die betroffenen vermögenden Haushalte würden die Steuer fast nur durch geringeres Sparen und nicht durch geringeren Konsum finanzieren.

Die globale Finanzkrise ist primär eine Folge zu geringen Staatseinflusses auf den Finanzsektor und hoher Ungleichheiten in der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Nun sollte man in der Krisenbewältigung bei den Weichenstellungen für die Zukunft den Neoliberalen in Politik, Wissenschaft und Medien mit ihrem Motto "Weniger Staat" nicht neuerlich auf den Leim gehen. (Markus Marterbauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.6.2009)