Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war am Dienstag. Da setzte sich Sch. zu mir. Und meinte, dass er sich nicht einmal mehr ärgern, sondern nur noch wundern könne. Obwohl das auch nichts brächte. Denn, meinte Sch. unintelligenter hätte man die Sache im Museumsquartier wirklich nicht angehen können.

Sch. ist Wirt. Er betreibt in Wien ein paar Lokale und ein Cateringservice. Normalerweise bekommt er vor seinen Berufstitel Gastronom die Präposition „Szene". Eines von Sch.s Lokalen liegt im Museumsquartier. Es gilt als schick.

Idiotisch

Sch. also setzte sich zu mir, als wir einander am Dienstag zufällig am Graben über den Weg liefen. Und erzählte, wie die Sache mit dem Alkoholverbot und der neuen MQ-Hausordnung aus seiner Sicht gelaufen sei. Erstens idiotisch, sagte Sch. Und zweitens auch noch unnötig. Denn, betonte Sch., mit einer der Reize, die den Hof des MQ so attraktiv machten, sei doch, dass da auf den Liegen Picknickstimmung herrsche. Dass die Leute dort abhingen, ohne konsumieren zu müssen. Und dass jeder nach seiner Facon glücklich sein könne: die einen in den Lokalen - und die anderen auf den Liegen.

Ja, wiederholte er, als ich ihn fragend ansah: Als Wirt müsse man - und da spräche er, meine er, auch für alle Kollegen am Platz - schon auch wissen, was Ambiente sei. Und dass es wichtigere Dinge gäbe, als ein oder zwei Getränke mehr zu verkaufen. Gerade an einem Platz wie dem großen Hof des MQ merke man das ja ganz deutlich: Lokale in revitalisierten Kunstumfeldbauten gäbe es nämlich auf der ganzen Welt - aber so eine offene und freie Atmosphäre wie im MQ sei einzigartig. Und das, betonte Sch., habe viel damit zu tun, die Leute in Ruhe zu lassen. Und sie nicht mit schlagstockbewehrten Securities zu belästigen.

Schrankformat

Schlagstöcke?, fragte ich - und Sch. nickte: Ja, Schlagstöcke. Und dann erzählte er, wie die Exekution der neuen Hausordnung aus seiner Sicht vergangenes Wochenende erstmals durchgesetzt worden sei: Sein Geschäftsführer im MQ-Lokal habe ihn leicht fassungslos angerufen und gesagt, dass da plötzlich schrankformatige Rausschmeißer zwischen den Enzi-Liegen herumwandern würden. Und die hätten Schlagstöcke dabei. Die Leute wären ziemlich aufgebracht.

Er sei dann, erzählte Sch., sofort ins MQ gekommen und habe gesehen, dass sein Mitarbeiter nicht übertrieben habe. Und dass die bewaffneten Schränke tatsächlich Menschen, die da zu viert oder fünft mit einer Flasche Sekt auf einer Liege auf einen Geburtstag oder sonst was anstießen, drangsalierten. „Ich habe," sagte Sch., „geglaubt, mich trifft der Schlag." Denn die Problemen im Areal könne man nicht mit offensiv zur Schau gestellter Schein-Sicherheit zuleibe rücken, sondern mit Einfühlungsvermögen.

Probleme?

Probleme?, fragte ich - und Sch. nickte: Ja, Probleme. Und zwar ganz massive. Denn so schön und entspannt die Liegelandschaft im Hof sei, sei es ein Faktum, dass die Situation im Laufe des letzten Jahres zu kippen begonnen habe. So hätten fliegende Händler im Hof Einzug gehalten. Und auch wenn er vollstes Verständnis dafür habe, wenn jemand zwei oder drei Bierdosen im Rucksack mitbrächte und mit seinen Freunden teile („Wir haben alle mal keine Kohle gehabt - und irgendwann kommen die Leute dann eh zu uns, weil keiner warmes Bier mag oder extra zum Supermarkt gehen will"), gebe es eben doch eine Grenze.

Und die, erzählte Sch. sei überschritten, wenn Menschen mit Rucksäcken oder Oma-Einkaufswagerln voll Getränken von Liege zu Liege wanderten und zu fixen Preisen ihr Angebot von Saft bis Schnaps verhökerten. Nicht nur einmal, sondern mehrmals pro Abend: So mancher Händler hole einfach Nachschub aus dem in der Tiefgarage geparkten Auto. Er bitte um Verständnis, sagte Sch., aber als Wirt, der Platzmiete, Personal und Abgaben bezahle, gehe ihm da bei Schwarzhändlern die im Supermarkt einkaufen und nur in die eigene Tasche wirtschaften, irgendwann der Humor aus.

Finanzverfahren

Freilich, setzte er nach: Diesen - und nur um diese Umtriebe gehe es in diesem Punkt - komme man ganz bestimmt nicht mit bewaffneten Hünen bei, die die echten Selbstversorger vergraulen: Wenn schon Securities, dann sollten die diese Händler - die ja auffällig wären - ansprechen und verwarnen. Und im Wiederholungsfall eben die Polizei rufen oder sonst wie Anzeige erstatten: „Mit der Finanz oder einem Steuerverfahren zu drohen, ist sehr effizient." Auch, dass Radfahrer und Skater, die im dichten Gewühl mitunter tatsächlich Kinder über den Haufen führen gebremst gehören, meinte Sch., sei vermutlich argumentierbar - wenn auch nicht mit Schlagstöcken. Und für alle anderen Probleme, setzte Sch. fort, brauche man keine Securities, sondern zuerst einmal Sozialarbeiter.

Sozialarbeiter? Im MQ?, fragte ich. Und wieder nickte Sch. Denn die Treppenaufgänge und manche Durchgänge, erzählte er, würden mittlerweile auch gerne von jener Klientel besetzt, die sich selbst irrtümlicherweise für Punks halte, de facto aber oft bloß ein unangenehmer Mix aus aggressiven Schnorrern, renitenten Stänkerern und von Substitutionsdrogen blau gefärbten Lippen und Zahnfleisch leicht erkennbaren Junkies sei.

Wegelagerer

Immer öfter, erzählte Sch. würden die spätabends die Treppen besetzen. Und „besetzen" träfe es ganz gut: Während es sonst Common Sense sei, auf einer Knotz-Stiege Durchgänge zu lassen oder zumindest Platz zu machen, sei ein Durchkommen ohne um Geld angepöbelt zu werden, dann kaum möglich. Und wenn Schnorren zur Wegzoll-Piraterie und das allnächtliche Mobiliar-von-der-Brüstung-in-den-Hof-schmeissen als klassenkämpferischer Akt institutionalisiert werde, käme eben irgendwann der Moment, wo man die Mehrheit vor einer Minderheit schützen müsse. Zunächst mit den gelindesten Mitteln. Ein am Gürtel oder in der Hand baumelnder Schlagstock, sagte Sch., wirke aber vermutlich nicht nur auf ihn wenig deeskalierend.

All das, sagte Sch., hätten die Wirte dem MQ schon lange und immer wieder gesagt. Und sich auf die angekündigte neue Hausordnung daher sogar gefreut. Dass darin dann mit Kanonen auf Spatzen - „noch dazu auf die falschen", setzte Sch nach - geschossen werden würde, hätten sie nie vermutet. Und dass die Umsetzung des ohnehin überzogen Formulierten dann auch noch so dilletantisch stattfinden würde, habe ihn, sagte Sch. „wirklich schockiert. Um es höflich auszudrücken." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 11.6.2009)