Wien - Die Zahl der Obsorgeverfahren steigt seit Jahren nicht nur an, "die Verfahren nehmen auch an Schärfe zu", so die Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht. Auch die Dauer von Prozessen werde eher länger. Kritik, dass die Rechtssprechung in Zeiten von neuen Lebensgemeinschaften und Patchwork-Familien nicht mehr mit dem modernen Familienbild mithalten kann, wollen die Familienrichter nicht geltenlassen. "Die Rechtssprechung ist im Umbruch", so Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht in der Richtervereinigung Österreichs.

"Eine Woche da, eine Woche dort" ist schwer durchführbar

Eine Regelung "eine Woche da, eine Woche dort" - wie sie v.a. von Vätern oft gewünscht werde - sei im Alltag nur schwer durchführbar. Der Alltag kann nicht so einfach geteilt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass getrenntlebende Eltern nicht immer die beste Kommunikation miteinander haben, meinte Täubel-Weinreich. Gerichte sollten dann verhindern, dass ein Kind dann nicht als Machtmittel eingesetzt wird.

Männer haben stärkeres Vaterbewusstsein entwickelt

Dass Mütter häufiger das alleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen als Väter, führt die Richterin darauf zurück, dass Frauen ihren Alltag bereits vor der Trennung stärker auf das Kind ausgerichtet haben als das oft bei Männern der Fall sei. "Da ist aber einiges im Umbruch und wird sich in den nächsten fünf Jahren ändern", prognostizierte Täubel-Weinreich. Männer haben heute ein stärkeres Vaterbewusstsein. Jene, die bis zur Trennung intensiv Zeit mit dem Kind verbracht haben, wollen nicht zum Besuchsonkel werden. Darauf hätten die Gerichte reagiert und Besuchsrechtsentscheidungen flexibler gestaltet, indem man sich auf kürzere Intervalle bei kleineren Kindern einigte.

Lösungen ohne Verlierer und Sieger

Es sei aber auch durchaus so, dass Väter mittlerweile immer mehr auch in strittigen Verfahren das Sorgerecht bekommen. "Ziel wäre es aber, mit den Eltern vernünftige Lösungen ohne Verlierer und Sieger zu erarbeiten", so die Richterin.

Psychotherapeuten für das Verfahren

Richter, die über Kindeswohl entscheiden müssen haben aus ihrer Ausbildung heraus nur ein begrenztes Wissen, was Kindeswohl bedeutet, so  Martina Leibovici-Mühlberger, Ärztin, Psychotherapeutin und Lehrgangsleiterin der ARGE-Erziehungsberatung. Laut Richterin Täubel-Weinreich liegt "das Problem aber oft darin, dass Eltern ihren Konflikt miteinander nicht aufgearbeitet haben. Sie bräuchten eher einen Psychotherapeuten, der mit ihnen im Verfahren arbeitet", sagte die Richterin. "Schulungsbedarf ja, aber der Richter darf nicht zum Therapeuten der Eltern werden", fasste sie zusammen.

Zukunftsprognose für das Kind

Die Herausforderung für einen Gutachter etwa bei der Entscheidung für ein Elternteil sei enorm. "Es muss eine Zukunftsprognose gemacht werden für das Kind. Das ist eine schreckliche Frage", so Täubel-Weinreich. Der Gutachter versuche die primäre Bezugsperson herauszufiltern. Im Idealfall sollte ein Weg gefunden werden, dass Eltern nach der Trennung ihre Beziehungskonflikte nicht vor das Wohl des Kindes stellen. (APA)