Es mag ein Zufall sein, dass zwei Tage nach dem für die SPÖ desaströsen und für die ÖVP mäßigen Ausgang der Europawahlen drei wichtigen Gesetzesentwürfen der Beschluss im Ministerrat verwehrt bliebt. Post, Bahn, Uni-Reform - alle drei sind recht spezifische Materien, die einer aufwendigen Koordination bedürfen. Doch wenn am Abend vor der wöchentlichen Kabinettssitzung Blockadehaltungen eingenommen werden, dann kann das nicht mit atmosphärischen Störungen abgetan werden. Des Kanzlers Scharte und des Vizekanzlers Blessuren aus dem Pyrrhussieg infolge der Nominierung des auch innerparteilich umstrittenen EU-Spitzenkandidaten dürften nicht ohne Folgen für die Regierungszusammenarbeit bleiben.

Wenn bereits jetzt bei vergleichsweise harmlosen Differenzen kein Konsens gefunden wird, lässt sich das Tauziehen bei echten Stolpersteinen erahnen. Gerade die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten erfordert aber ein energisches Vorgehen. Derzeit vermitteln die Regierungsparteien aber eher den Eindruck, dass die Dramatik des Abschwungs noch nicht erkannt wurde - weder volkswirtschaftlich noch parteipolitisch. Auch wenn jetzt viel von einer konjunkturellen Bodenbildung die Rede ist: Selbst wenn diese eintreten sollte, rechnen Ökonomen übereinstimmend mit vielen mageren Jahren. Das macht vor allem dem Arbeitsmarkt zu schaffen, auf dem sich langfristig keine Trendwende abzeichnen wird. Das macht vor allem der SPÖ zu schaffen, die in den Arbeiterhochburgen kräftig Federn lässt.

Zwar kann die Regierung eines kleinen Landes nicht allzu viel gegen eine globale Krise ausrichten, doch für das politische Überleben ist der Umgang mit selbiger allemal ausschlaggebend. So gering die Chance auf eine Umkehr des Abschwungs ist, so groß ist sie, die brennenden Probleme anzugehen. Wann, wenn nicht jetzt? Doch während Betriebe umstrukturieren, Beschäftigte Jobs und Einkommen verlieren, werden große Brocken umschifft. Gesundheits-, Pensions-, Verwaltungsreform: nur Willensbekundungen; Budget- und ÖBB-Sanierung: nicht einmal in Ansätzen zu erkennen; Entlastung der Steuerzahler: völlig unrealistisch.

Die nun verschobene Bahnreform ist ein gutes Beispiel und böses Omen für die Handlungsfähigkeit der Koalition: Im Kern gibt es Konsens, doch der Passus, wonach Länder für Extra-Schienen-Wünsche auch extra zahlen müssen, passt den Landeshauptleuten nicht in den Kram. Ganz nach dem Motto "Wir wünschen, sie spielen" haben sie den Entwurf beeinsprucht und finden bei der ÖVP offene Ohren. Die Provinzfürsten wollen auch weiterhin ebenso teure wie unrentable Strecken einfordern können, obwohl schon der jetzige Investitionsplan die ÖBB nahe an den finanziellen Abgrund bringt.

Sollte die Reklamation der Länder tatsächlich durchgehen, kann sich Josef Pröll das Gerede von solider Budgetpolitik endgültig sparen. Seine Glaubwürdigkeit wäre nach dem Kniefall vor der Lehrergewerkschaft endgültig ramponiert. Die Aussichten auf eine echte Verwaltungsreform samt neuem Finanzausgleich tendieren nach den bisherigen Erfahrungen gegen null.

Die einstigen Großparteien haben nach den Verlusten bei den Nationalratswahlen die Krise und die Dringlichkeit energischen Vorgehens bei großen Reformen als Legitimation für die Regierungsbildung beschworen. Das mag in Ermangelung politischer Alternativen die richtige Entscheidung gewesen sein. Doch Herumlavieren in wichtigen Fragen löst keine Probleme, weckt in der Bevölkerung Misstrauen und treibt die Wähler in die Arme von Populisten. Statt die Wirtschaftslage als Chance zu nützen, tappen Faymann und Pröll in die Krisenfalle. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2009)