Wien - Mitunter wird die Festwochen-Vorgabe, szenisch überwiegend hochwertiges Gourmetfutter an Wiener Theatergenießer zu verabreichen, auch zur Last. Die äußerst vielgestaltige Reihe forum festwochen ff ist theatralisch wohlfundiert. Ihr Wert lässt sich allerdings nicht allein durch Geschmacksdiktate bestimmen. Dort, wo soziologisches Material auf den Tisch kommt, tritt die Ästhetik hinter die lebensweltlichen Aspekte zwangsläufig zurück.

Die Idee, Schlaglichter auf die zeitgenössische türkische Gesellschaft zu werfen, mag von der EU-Beitrittsoption des Landes am Bosporus inspiriert worden sein. Geboten bekamen die Besucher der Installation Istanbul, Transgelinler am Wiener Karlsplatz ein erhellendes Beispiel für angewandte Feldforschung. In einem Kuppelzelt hat Barbara Ehnes sechs Videoschirme auf Holzböcke gestellt: Transsexuelle Bewohner des Istanbuler "Outcast" -Viertels Talabasi erzählen in äußerst pointierten Fünf-Minuten-Filmen von der Last eines ihnen aufgezwungenen Ghettolebens.

Von einem Kreuzweg zu sprechen - man springt in atemloser Folge von Film zu Film - wäre mit Blick auf die Türkei verfehlt. Bedrückend deutlich aber werden die Bedrohungspotenziale, denen sich sexuell selbstbewusste Menschen in einem - dem Titel nach - laizistischen Staat ausgesetzt sehen. Die Transsexuellen müssen sich obendrein als "Sexworker" durchbringen, um nicht vor die Hunde zu gehen. Zum Abschied wurde man übrigens mit Kaffee gestärkt und zum Smalltalk mit anwesenden Betroffenen aufgefordert. Nie erschienen einem gewisse Plakate der abgelaufenen Wahlkampagne absurder als nach Besuch dieser diskursiv hochwertigen Intensivstation.

Furor des Kabaretts

Polemisches Tanztheater mit kabarettistischem Furor kredenzte das Istanbuler Theaterkollektiv oyun deposu im brut Konzerthaus. Auf der Folie von Andersens Märchen tobten drei Frauen durch die Performance Hässliches Menschlein, in der wiederum der Sache des gelebten Außenseitertums intensiv gehuldigt wurde.

In einem Geviert aus Scheinwerfern, dessen Stirnwand von den kreideweißen Umrisslinien mutmaßlich Ermordeter geziert wird, verhandeln eine Kopftuchträgerin, eine Kurdin sowie eine Lesbe ihr minoritäres Leid. Maral Ceranoglus etwas atemlos erregte Inszenierung überzeugt dann, wenn das Geprassel der genussvoll wiedergekäuten Vorurteile die Schutzlosigkeit der Menschen dahinter erkennen lässt - eine etwas durchdachtere Choreografie wäre daher schön gewesen. Identitätspolitik bleibt bis auf weiteres die Herausforderung einer Weltgesellschaft, die umso mehr zersplittert, je globaler sie sich dünkt. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 09.06.2009)