Wenn prominente Exponenten der Grünen und der Sozialdemokratie heute einen antifaschistischen Grundkonsens gegen die FPÖ beschwören, ist im besten Fall der Wunsch Vater des Gedankens. In der Tat war Antifaschismus hierzulande niemals konsensfähig. Nach 1945 galt es, vom Faschismus zu schweigen - hatte doch eine der großen Volksparteien ihn zwischen 1934 und 1938 eigenhändig praktiziert.

Selbst die Gegnerschaft zum Nazismus (Stichwort: „Geist der Lagerstraße") erwies sich als prekär: Anstatt die personelle und ideologische Konkursmasse des NS-Regimes unter Quarantäne zu stellen, bemühten beide Großparteien sich redlich um deren Integration in die postnazistische Demokratie - und bevorzugt ins jeweils eigene Lager.

Vor diesem Hintergrund wurde ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden, der in der Tat identitätsstiftend für die Zweite Republik werden sollte: der Antikommunismus. Dieser erwies sich als funktional nicht nur im Kontext der österreichischen Westorientierung, sondern auch im Sinne der ideologischen Einbindung der Parteigänger/innen des Nationalsozialismus, die sich in der Frontstellung gegen den vertrauten Feind wieder- und zu „Österreich" zurückfinden konnten.
Ähnliches trifft auch für Deutschland zu, weshalb Martin Graf auch in seiner Ansicht recht zu geben ist, wonach es Antifaschismus als Grundkonsens in lediglich einem Nachfolgestaat des NS-Regimes - der DDR - gegeben habe (auf die Perfidie der Verunglimpfung von Antifaschismus als bloßes Propagandainstrument Ostberliner oder - wie jüngst vom Freiheitlichen Johannes Hübner im Nationalrat ventiliert - Moskauer Politbüros sei dabei nur am Rande hingewiesen). Anders als dem „Opferstaat" Österreich gelang es der Bundesrepublik jedoch immerhin, die NS-Erfahrung als negativen Gründungsmythos zu internalisieren, was zu einem guten Teil erklärt, weshalb ein Martin Graf ebendort in den Niederungen der Kommunalpolitik zu irrlichtern hätte.

Dass die Zweite Republik heute nicht auf einem antifaschistischen, sondern vielmehr auf einem „antitotalitären" Konsens ruht, zeigte sich auch an der Haltung einer österreichischen Innenministerin, die kürzlich die aktuelle Häufung rechtsextremer Vorfälle umgehend durch den Verweis auf „gegenseitige Provokationen" und die angeblich von „linksextremen" Kreisen gleichermaßen ausgehende Bedrohung der Demokratie zu relativieren suchte.

Die bekenntnishaft formulierte Äquidistanz zu „Extremismen aller Art" bewirkt als Kern der österreichischen Staatsdoktrin nach 1945 jedenfalls zweierlei: Zum einen entlastet sie die gesellschaftliche und politische „Mitte", die als von den extremistischen „Rändern" klar abgrenzbarer Ort von Normalität konstruiert wird, und legitimiert damit den bürgerlichen Status quo. Dass in dieser Mitte zumindest einzelne rechtsextreme Ideologeme mehrheitsfähig sein könnten, Rechtsextremismus eventuell gar als konsequente Zuspitzung hegemonialer Werte (etwa des Konkurrenz- und Leistungsprinzips zum Sozialdarwinismus) und somit als aus der Normalität bürgerlicher Gesellschaft erwachsend zu verstehen wäre, gerät so durchaus erwünschter Weise aus dem Blick.
Zum anderen diffamiert die Extremismusdoktrin antifaschistische und allgemein fortschrittliche Bestrebungen bis hin zu ihrer Kriminalisierung.

Die Fokussierung auf Handlungsformen („Gewaltbereitschaft") und die Haltung zur bürgerlichen Demokratie als Form (anstatt zu Demokratisierung als emanzipatorischem Projekt) in der Bestimmung der „Extremismen" lässt wohlweislich deren einander diametral entgegenstehende Grundannahmen (Gleichheit versus „natürliche" Ungleichheit der Menschen) und Zielsetzungen (Emanzipation versus Verhärtung autoritärer Strukturen) unberücksichtigt.

Beides - die Darstellung rechtsextremer Umtriebe als letztlich irrelevante „Randerscheinungen" wie auch die Gleichsetzung von „Wehrsport" und „Kanacken-Jagen" mit Häuserbesetzen und Erster-Mai-Marschieren - betreibt letztlich die fortwährende Verharmlosung des Problems, dass dieses Land mit dem Rechtsextremismus hat.

Dass die SPÖ sich angesichts der Eskapaden des von ihr mitinstallierten Dritten Nationalratspräsidenten wieder verstärkt ihrer antifaschistischen Tradition zu besinnen scheint, ist begrüßenswert. Freilich hätte sie dem dabei beschworenen „Grundkonsens" zunächst in den eigenen Reihen zum Durchbruch zu verhelfen - was angesichts des Liebäugelns mehrerer Landesorganisationen mit rot-blauen Koalitionen oder der sozialdemokratischen Stimmen für Graf ein Stück Arbeit bedeuten dürfte.

Geradezu simpel nimmt sich dieses Unterfangen jedoch gegenüber der Herausforderung aus, Antifaschismus als Grundkonsens auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu etablieren. Denn auch wenn Graf im aktuellen profil-Gespräch bekundet, er befände sich „in fast allen Fragen im Geist der Mehrheitsbevölkerung", ist ihm darin vermutlich nur zuzustimmen. (Bernhard Weidinger, DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2009)