Berlin - Im Fall des früheren Polizisten Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, soll die DDR-Staatssicherheit direkte Informationen von den Westberliner Justizbehörden bekommen haben. Neue Aktenfunde bei der Birthler-Behörde belegen nach Medienberichten, dass die Stasi sogar die Anklageschrift gegen Kurras hatte.

Möglicherweise fielen die Akten der Stasi bei einer Kontrolle an der Grenzübergangsstelle Drewitz in die Hände. Die Kopie der Anklageschrift gegen Kurras, die unter anderem in der Stasi-Behörde gefunden wurde, soll direkt aus dem Büro des damaligen Westberliner Generalstaatsanwalts stammen. Erst vor zwei Wochen war bekanntgeworden, dass Kurras zu jener Zeit SED-Mitglied war und für den DDR-Staatssicherheitsdienst als IM "Otto Bohl" arbeitete. Laut Spiegel soll er mehr als zwei Dutzend Spione verraten haben.

Für eine erneute Überprüfung der Vorgänge im Fall Kurras, der zwei Mal vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden war, sprach sich der frühere Bundespräsident Roman Herzog aus. Es gebe zwar derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass Kurras im Auftrag der Stasi gehandelt habe, sagte Herzog der Bild. Fraglich sei aber, ob er "sich bei seinen Vorgesetzten in Ostberlin lieb Kind machen wollte, also in einer Art vorauseilenden Gehorsams gehandelt hat. Zum System hätte das ja gepasst" . Der Tod Ohnesorgs am Rand einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs in Berlin am 2. Juni 1967 hatte entscheidend zur Radikalisierung der deutschen Studentenbewegung und letztlich zur Entstehung der Terroristengruppen beigetragen. (DER STANDARD, Printausgabe, 8. 6. 2009)