Die Erosion von Großparteien lässt sich dieser Tage allenthalben in Europa beobachten: In den Niederlanden, wo die Sozialdemokraten der rabiaten Rechten unter Geert Wilders das Feld überlassen mussten. Und erst recht in Großbritannien, wo sich New Labours "Dritter Weg" endgültig als Sackgasse erwiesen hat. Gordon Brown, der verkniffene Nachfolger und glücklose Masseverwalter von Tony Blairs Erbe, war am Freitag das, was die Amerikaner einen "dead man walking" nennen. Politischer Exitus, die Frage war nicht mehr ob, sondern nur noch wann.

Europabewegte Beobachter auf dem Kontinent wünschen Brown dennoch einen möglichst späten Abschied. Denn die Auswirkungen seines Abgangs auf den Ratifikationsprozess für den Lissabonvertrag könnten verheerend sein. Denn ursprünglich war geplant, dass die Briten jedenfalls nach einem zweiten Referendum in Irland wählen sollten. Dann wäre der Vertrag - vorbehaltlich der definitiven Zustimmung der Deutschen, Tschechen und Polen - endlich durch gewesen. Die britischen Kalamitäten allerdings bringen diesen Verlauf in höchste Gefahr.

Großbritannien hat Lissabon zwar bereits ratifiziert und auch eine entsprechende Urkunde hinterlegt. Bevor jedoch nicht alle 27 Mitgliedsländer zugestimmt haben, könnte London seine Ratifikation immer noch zurückziehen. Die Tories haben ein Referendum dazu angekündigt. Wer immer Labour übernimmt, dürfte ebenso nicht darum herumkommen. Ein Rennen gegen die Zeit ist eröffnet: Wählt Großbritannien zuerst oder kommt Lissabon doch noch ins Ziel. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2009)