Die Politik schreit auf, die Bevölkerung bleibt gelassen.
Linz / Horní Planá – Hinter der Kirche der Heiligen Margarete führt eine enge Gasse steil bergauf. Sie ist leicht zu finden, allerdings gabelt sie sich nach wenigen Metern oben am Waldrand. Die linke Route führt zu einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten, der Bronzestatue von Oberplans berühmtestem Bürger: Adalbert Stifter.
Einmal für die rechte Abzweigung entschieden, fährt man kilometerlang vorbei an Fichten, Birken und blühenden Wiesen. Je weiter man in den Böhmerwald vordringt, desto häufiger erscheinen rotumrandete Hinweisschilder abseits der Güterwege: Vojenský újezd – vstup zkázán. "Truppenübungsplatz, betreten verboten", übersetzt Oberplans (Horní Planá) Bürgermeister Jíøí Hulka. Wie das Gemeindeoberhaupt der tschechischen Moldau-stausee-Gemeinde erfahren musste, verfolgt die Regierung mit dem Militärgebiet Boletice ganz eigene Pläne.
Mitten im Nationalpark Böhmerwald, in nächster Umgebung des Moldaustausees, will sie ein Atommüllager errichten. Entsprechende geologische Untersuchungen empfiehlt die staatliche Behörde für die Deponierung von Atommüll. Seit 15 Jahren sucht die Prager Regierung schon nach einem geeigneten Ort für ein atomares Endlager.
Um das südböhmische AKW Temelín um zwei Blöcke ausbauen zu können, ist eine entsprechende Entsorgungsmöglichkeit des radioaktiven Mülls laut Genehmigungsverfahren wesentliche Voraussetzung. Warum nun ausgerechnet ein Areal in einem Naturschutzgebiet angedacht werde, erklärt sich der Bürgermeister des 2200-Einwohner-Ortes so: "Es handelt sich hier um Staatsgrund, da braucht die Regierung nicht auf demokratische Strukturen Rücksicht nehmen, sondern kann agieren, wie sie will." Deshalb hält Hulka "alles für möglich".
Die Bemühungen der letzten 15 Jahre, die Dreiländer-Region Böhmerwald als Tourismusdestination zu etablieren, drohen damit zunichte gemacht zu werden, beklagt Oberplans Bürgermeister. Der Gemeinderat hat bereits einstimmig gegen das Endlager gestimmt. Bei der Bezirkskonferenz der Moldaustausee-Gemeinden vorigen Freitag wurde eine entsprechende Resolution an die Kreisregierung verabschiedet.
Gemeinsam mit Österreich und Deutschland will Hulka zudem versuchen, internationalen Druck auf die Regierung zu erzeugen. Wilfried Kellermann, Bürgermeister im oberösterreichischen Ulrichsberg, wird ihn dabei unterstützen. "Wir werden uns das ganz sicher nicht gefallen lassen. Zur Not greifen wir auch zu den äußersten Mitteln und gehen auf die Straße", kündigt er an.
Moldaublick und Deponie
Die nur wenige Kilometer von Oberplan entfernte 3000-Einwohner-Gemeinde Ulrichsberg im Tal der Großen Mühl ist auch Städtepartner des tschechischen Ortes. Von der Aussichtsplattform "Moldaublick" auf dem Sulzberg hat man 24 Meter über dem Boden nicht nur einen einmaligen Blick auf den Moldaustausee, sondern auch auf jenes Gelände, wo die mögliche Temelín-Deponie entstehen könnte. "Dort darfst zwar per Gesetz den Borkenkäfer nicht bekämpfen, aber Atommüll lagern – das ist doch pervers", ärgert sich Kellermann.
Blunzn-Knödel und Atommüll
Unbehagen über derartige Aussichten macht sich in der Bevölkerung aber noch nicht wirklich breit. Beim Fleischer gegenüber der Ulrichsberger Kirche gibt sich die Verkäuferin ahnungslos. "Blunzn-Knödel hätten wir heute ganz frisch ... Wos? Atommüll? I les' ka Zeitung, keine Ahnung, was Sie meinen." Auch die Kassiererin des Drogeriemarktes hört "davon das erste Mal". Eine Kundin fällt ihr jedoch ins Wort, ihr habe gestern der Pfarrer erzählt, was "da drüben" entstehen soll. "Wenn die Tschechen das Endlager dort wollen, kommt es dort hin. Die scheißen drauf, was wir hier denken", meint ein erboster Ulrichsberger.
Mit Achselzucken reagieren die Oberplaner. "Fragen Sie unseren Bürgermeister." Mehr ist einem Fährmann vom Moldaustausee nicht zu entlocken. Ratlos blickt eine Mutter drein, als sie gefragt wird, ob sie nicht Angst um die Gesundheit ihres Kindes habe? "Ich verstehe nicht", meint sie nur. Eine ältere Frau, deren Familie in Oberplan "verwurzelt ist", redet sich aber in Rage: "Meine Heimat lasse ich mir nicht zerstören. Ich unterschreibe jede Petition."
"Da ruhen die breiten Waldesrücken und steigen lieblich, schwarzblau dämmernd ab gegen den Silberblick der Moldau", beschrieb schon Adalbert Stifter diese Heimat. Das Zitat aus Hochwald steht, in Stein gemeißelt, neben jener Statue hinter der Kirche. (Kerstin Scheller/Markus Rohrhofer, DER STANDARD – Printausgabe, 3. Juni 2009)