Vielfältige Anwendungsgebiete für Mathematik zeigt der Wiener Wissenschaftsfonds WWTF seit 2004 mit dem Programm "Mathematik und ..." auf. Ob biologische Systeme, Funktechnologien, Geschwindigkeitsmessungen, Ortungssysteme oder Börsenkurse. Vieles lässt sich errechnen.

Illustration: Fatih Aydogdu

"Zu einer Wissenschaft kann man sowieso nur Wissenschaft sagen, wenn Mathematik drinnen ist." Einige Universitätsprofessoren ließen sich diesen Satz genüsslich auf der Zunge zergehen, als sie vergangene Woche der Präsentation und Schlussevaluierung von "Mathematik und ..."-Projekten in der Urania lauschten. Der Wiener Wissenschaftsfonds WWTF fördert seit 2004 mit diesem Programm Forschungsarbeiten, die mit Rechenmodellen zu Problemlösungen in Bereichen beitragen. Wobei die Ausgangslage hier unterschiedlich nicht sein kann: Physiker haben schon jahrhundertelange Erfahrung mit Mathematik. In der Biologie hat diese Denkweise noch wenig Tradition. Hier versuchen Wissenschafter erst seit kurzem, Anknüpfungspunkte zu finden. Die so entstandene Biomathematik hat aber beste Chancen, den Rückstand aufzuholen. Dank hoher Rechnerleistungen können ihre Vertreter in kürzester Zeit Simulationsmodelle erstellen, "von denen ich vor dreißig Jahren nicht mal zu träumen wagte", wie der deutsche Mathematiker Helmut Neunzert während der Projektpräsentationen jubelte (s. Interview).

In Österreich scheint die Chemie dieser Verbindung zu stimmen: Wissenschafter aus Wien und Linz etwa entwickelten Methoden, um von experimentellen Daten, die aus Versuchen mit biologischen Systemen stammen, auf deren Eigenschaften und Struktur schließen zu können. Das könnte in der Zukunft zu verbessertem, personalisiertem Drug-Design in der Pharmaindustrie führen: Wenn man also möchte, dass ein Medikament eine bestimmte Wirkung hat, wie muss es dann gestaltet werden? Am Beispiel des Tag-Nacht-Rhythmus untersuchten die Wissenschafter, wie die unangenehmen Nebenerscheinungen eines Transatlantikfluges verringert werden könnten, erzählt der Wiener Chemiker Christoph Flamm.

Auch der Mathematiker Philipp Kügler arbeitet mit Methoden, die auf die Ausgangssituation zurückführen, und untersucht unter anderem mit Forschern der Max F. Perutz Laboratories die Cortisol-Regulierung im Körper. Das Hormon steigert die Aufmerksamkeit, Anspannung und Leistungsfähigkeit, um den Körper etwa auf eine bevorstehende Flucht vorzubereiten. Wichtig ist, dass es danach wieder abgebaut wird. Störungen in diesem Hormonhaushalt wirken sich nämlich negativ auf die Gesundheit aus. Sie werden durch Dauerstress, vermehrte Angst oder Schlafmangel verursacht. Patienten, die an Depressionen leiden, weisen oft erhöhte Cortisol-Blutwerte auf. Die Mathematik soll hier ein Modell entwickeln, das, wie Kügler erzählt, "basierend auf Differenzialgleichungen den zeitlichen Ablauf der Cortisol-Regulierung richtig beschreibt".

Mathematik als Werkzeug. Dieses Thema der WWTF-Projekte führt direkt zu Anwendungen in der Wirtschaft. In Unternehmen heißt es abwägen: Einerseits möchte man viele Variablen in möglichst komplexe Modelle einbauen, um der Realität nahezukommen. Auf der anderen Seite ist das oberste Gebot, praktikable Modelle zu kre-ieren, die es erlauben, in Echtzeit zu agieren. Unternehmen müssen zum Beispiel im Einzelhandel flexibel auf geänderte Nachfrage reagieren können. Mathematische Modelle können dabei helfen, indem sie die Nachfrage prognostizieren und damit Anhaltspunkte für die künftige Produktion geben. Ein Team um Alfred Taudes von der WU Wien hat daher die optimale Preissetzung von Unternehmen untersucht, wenn die Nachfrage realitätsnah modelliert wird.

Kreditrisiko modellieren

In den vergangenen Jahren stand die Modellierung von Kreditrisiken im Vordergrund. Ein Projekt der Wiener Universitäten untersucht die Probleme, die sich bei dieser besonderen Form von Risiko ergeben. Banken vergeben zahlreiche Kredite an Unternehmen, Konsumenten oder andere Banken. Dieses Risiko besteht erstens aus der Wahrscheinlichkeit, dass ein Kreditnehmer Bankrott geht. Zweitens bringt die mögliche Pleite auch andere Kreditnehmer in Bedrängnis. Diese Korrelation des Risikos muss modelliert werden. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der Bewertung von Optionen, Finanzderivaten, auf liberalisierten Elektrizitätsmärkten. Eine Forschungsgruppe rund um Georg Pflug von der Universität Wien geht dabei der Frage nach, wie effektiv auf dem sehr unruhigen Markt für Elektrizität gehandelt werden kann. Die starken Preisschwankungen untertags, ausgelöst durch die Nachfragespitzen, verlangen nach eigenen Modellen.

Ist das also der Sinn von Rechnungen und Formeln, nach dem so viele Schüler immer wieder fragen? Die mögliche Anwendung suchen? Unter anderem, antworteten die Mathematiker im Rahmen der Tagung, wie die meisten ihrer Zunft. Natürlich könne man die Welt ausrechnen und Lösungen anbieten. Aber: Manchmal könnte das Denken selbst allein Sinn und Zweck sein. (Peter Illetschko und Lukas Sustala, DER STANDARD/Printausgabe 3.6.2009)