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Eine "grüne" Alternative, die keine ist (Hybrid-Modell beim jüngsten Genfer Auto-Salon, oben), und ein Schritt in die "wirkliche" Zukunft der Mobilität: Elektrozapfsäule in der Londoner City.

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Gara: Ist es sinnvoll, die alten Strukturen der Autoindustrie auf Staatskosten zu erhalten?

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Über die anhaltende Realitätsverweigerung der internationalen Automobilindustrie und erste Ansätze eines Strukturwandels, in dem der Magna-Opel-Deal sich als durchaus zukunftsträchtig erweisen könnte.

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Wenn heute von Umbau und Neuordnung in der Automobilindustrie gesprochen wird, so legt das eher Assoziationen zu Begriffen wie "Bilanzkosmetik" und "Leichenfledderei" nahe. Nach Chrysler wollte Fiat auch Opel übernehmen, also auf Staatskosten die Konkurrenz filetieren und in schrumpfenden Märkten Marktanteile gewinnen. Die Politik nickt, und der Staatsbürger zahlt. Andere lästige Themen bleiben beharrlich ausgeblendet: Energiekrise, Klimawandel - war da was? Nun hat allerdings ein anderes Konzept - Zulieferer kauft sich seinen eigenen Besteller - obsiegt und Frank Stronachs Magna den Zuschlag erhalten.

Der Verbrennungsmotor ...

Ob Letzteres ein gutes Signal ist, soll zunächst dahingestellt bleiben. Vorab nur so viel: Entscheidend wird sein, ob und wie rasch sich die neue Konzernführung von etablierten Denkmustern der Gesamtbranche lösen kann.

Faktum ist: Der Niedergang der Fahrzeugindustrie wurde durch die Wirtschaftskrise beschleunigt, aber nicht durch sie ausgelöst. Die Ursachen sind hausgemacht: Überkapazitäten, falsche Produkte und Arroganz. Man setzt(e) auf schwere, teure und vor allem ineffiziente Autos (der SUV - ein Hauch von Abenteuer im Verkehrsstau!) und insgesamt auf ein Geschäftsmodell, das nur noch mit kreativer Finanzierung funktioniert, um das Publikum nicht durch die tatsächlichen Kosten zu verstören. Wenn die Geldschöpfung versiegt, brechen allerdings die Umsätze ein.

Dass bei den Autobauern Überlebensangst herrscht, hat aber nicht nur ökonomische, sondern auch technologische Gründe: Die Tage des Verbrennungsmotors scheinen gezählt. Schließlich definiert sich die Branche seit ihren Anfängen über die Antriebstechnologien Motor und Getriebe. Der Motor ist die zentrale Manifestation technischer Leistungsfähigkeit - der Imageträger schlechthin. Nur ca. 20 Prozent der Energie, die im Sprit steckt, kann allerdings zum Fahren genutzt werden. 80 Prozent sind energetischer Abfall. Da helfen auch Hightech-Motorenentwicklungen wenig - vielleicht ein paar Prozentpunkte Effizienzsteigerung für das Gesamtsystem, und das war's auch schon.

Konsequenterweise wurden bisher Alternativen zum Erdöl nur dort ernsthaft verfolgt, wo sie in die Grundlogik proprietärer Systeme passen: Gas, Biokraftstoffe, Wasserstoff. Zentraler Orientierungspunkt all dieser Bemühungen: der Motor, betrieben mit einem Kraftstoff, der zentral betankt werden muss. Im Gegensatz dazu lässt sich ein Elektroauto dezentral an jeder Steckdose aufladen. Daher auch die Begeisterung der "alten Industrie" für das Wasserstoffauto, das sich in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt hat und dem führende Experten keine Zukunftschancen geben.

Es überrascht also kaum, wenn Automobilindustrie und Erdölkonzerne unisono das Ende des Erdölzeitalters als Verschwörungstheorie verharmlosen. Das alte System funktioniert schließlich nur unter dem Paradigma des billigen Öls. Das aber ist vorbei. Auch wenn die Krise nach dem drastischen Preisverfall von Erdöl seit Juni des letzten Jahres abgeblasen schien (zur Realität dieser Hoffnung: siehe die aktuellen Preisentwicklungen).

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Zukunft der Mobilität liegt in der elektrischen Antriebskraft. Der Umbruch wird kommen - und er wird die Automobilindustrie grundlegend verändern. Die Wiedererweckung der Elektromobilität nach über hundert Jahren Dornröschenschlaf erfolgt deshalb vorerst nur zaghaft. Mit einer fünffach höheren Energieeffizienz, entsprechend geringem CO2-Ausstoß und ohne schädliche Abgase ist sie konkurrenzlos - zugleich aber bedeuten Elektroautos für die (noch) bestehenden Strukturen in der Automobilindustrie eine große Gefahr: den drohenden Verlust ihrer Kernkompetenz im Motoren- und Getriebebau.

... als Auslaufmodell

Elektromotoren sind technisch einfach und von vielen Lieferanten herstellbar, Getriebe und Differenzial entfallen komplett. Weniger Verschleißteile reduzieren die Wartungskosten - eine wichtige Einnahmequelle im bisherigen Geschäftsmodell.

General Motors hatte dies bereits 1997 erkannt und daraufhin seine äußerst erfolgreiche EV1-Elektroauto-Testflotte verschrotten lassen. Ein schwerer Fehler, wie sich heute herausstellt. Deswegen ist das Hybridauto für traditionelle Hersteller als Alternative auch so beliebt: Kraftstoffmotor und Getriebe bleiben erhalten, ergänzt nur um einen Elektromotor. Eine "grüne" Alternative, die keine ist und insgesamt enorm teuer.

Elektroautos können viele bauen, neue Partnerschaften zeichnen sich ab. Der kalifornische Elektroautobauer Tesla etwa und andere "Kleinmanufakturen" , die meist nicht aus der traditionellen "Familie" der Autobauer stammen, sind erst der Anfang. Das Konzept: Elektroauto im Baukastensystem - Fahrgastzelle, Antriebsräder mit integriertem Elektromotor und Dämpfung (wie das "active wheel" von Michelin), die Batterie als Energieträger.

Vorbild IBM?

Auch die Zulieferindustrie entwickelt neue Geschäftsmodelle und macht sich unabhängig. Michelin zeigt wie es geht: vom Reifenhersteller zum Produzenten von elektronischen Antriebsystemen - Vorwärtsintegration par excellence; der Reifenhersteller als Konkurrent des Motorenbauers - eine faszinierende Perspektive. In diesem Kontext hat Magna also eigentlich, um auf die eingangs aufgeworfene Frage zurückzukommen, gute Karten.

Die Umbruchphase gleicht in gewisser Weise jener der Computerindustrie Ende der 90er-Jahre: 2000 hat IBM Produktion und Verkauf von PCs eingestellt. Für den Erfinder des Personal Computers ein historischer Schritt - musste das Geschäftsmodell doch radikal zum Dienstleistungskonzern umgebaut werden. Dell war der Herausforderer mit dem radikal neuen Ansatz "network economics", der Kunden und Lieferanten vernetzt. Der Käufer konfiguriert sich seinen PC online, die Produktion erfolgt just-in-time, praktisch ohne Lagerhaltung. Das senkt die Kosten und erhöht die Flexibilität.

Welche Rolle wird da der klassische Automobilhersteller noch spielen? Wie viele neue Konkurrenten werden entstehen, von denen man es nicht vermutet hätte? Die radikale Neuordnung in der Automobilindustrie ist überfällig. Von den Großen werden längerfristig nur jene überleben, die sich rechtzeitig vom Autohersteller zum Mobilitätsdienstleister entwickeln. Das IBM-Modell steht Pate.

Und abschließend noch ein kleiner ein Pisa-Test für Politiker: Ist es sinnvoll, um fast jeden Preis die alten Strukturen der Automobilindustrie auf Staatskosten zu halten? (Stefan Gara, DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2009)