Da steh ich nun mit dem riesen Eisentrumm zwischen meinen Beinen - am Weg in die Tanzschule. Ganze 307 Kilo hat die vollgetankte Harley Davidson VRSCA V-Rod Muscle. Das ist so viel, dass ich beim Fahren kaum noch einen Unterschied merke, ob die Reißerische drauf sitzt oder nicht.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Ein bisserl merkt man es natürlich schon - nicht am Fahren, aber an den Blicken. Die bleiben dann kürzer am Bock hängen, landen dort, wo ich immer die Taschentüchl in den Rucksack tu, wenn ich einen mithab.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Mein Blick geht streng gerade aus, auch wenn sich neben mir gerade ein Eisen einschleift. Weil ich nicht hinschau, seh ich es nicht so genau, aber es schaut nach einer Nackerten aus, mit einer Bikini-Verkleidung. Und der Reihenvierer des Herrn neben mir poltert sicher doppelt so laut wie meine Harley.

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Der Herr Fischer hat sich bei der Übergabe des Testfahrzeuges eh schon fast dafür entschuldigt, dass er die Pressereibnen natürlich nur mit dem Serienauspuff ausgeben kann. Jetzt klingt der 60-Grad V2 aus Milwaukee mit den 1246 Kubikzentimetern ein bisserl wie ein aufgemachter Staubsauger, neben dem Ambitionierten auf seinem Vierzylinder.

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Während ich die Reißerische habe, dürfte er das Reißerte haben. Dauernd heult sein Motor auf. Auf solche Spielchen reagier ich nicht einmal, wenn ich ein lautes Moped hab. Warum also jetzt? Die Reißerische kümmert sich auch nicht so recht um den Mann - sie klammert sich mit beiden Händen an mich -, sie ahnt wohl schon was gleich passiert, wenn die Ampel auf Grün springt: Der Laute und der glu geben sich ein Hatzerl, während sie hinten drauf schauen muss, dass sich die Tanzschuh nicht anspeiben.

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Und recht soll sie haben. Wie die Ampel Orange zeigt, lasse ich bei rund 6500 Umdrehungen die 115 Nm Drehmoment über den Zahnriemen in den superdicken 240er-Hinterschlapfen fahren. Jetzt weiß ich, wie sich die Piloten bei den berühmten Beschleunigungsrennen fühlen müssen. Die Harley sprintet los, als würde sie eine Lok anschieben. Nur ein kleiner Quietscher am Hinterrad.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Und du brauchst dich nicht die Bohne darum kümmern, ob das Vorderradl aufsteigt. Die beiden 300 Millimeter-Scheibenbremsen am Vorderbock, mit den Brembozangen, dürften so von der Erdanziehung bevorzugt sein, dass die HD vorne nicht einmal leicht wird.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Die geschmiedete Gabelbrücke kann es nicht sein - die ist ja aus Leichtmetall. Und die Blinker können es auch nicht sein, die sind vorne galant in die Spiegelhalterung und hinten in den fetten Rückstrahler verbaut. Es kann also nur an den Bremsen liegen.

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Die V-Rod Muscle bremst serienmäßig mit ABS. Aber das brauch ich eigentlich nicht - die Verzögerungswerte der V-Rod sind für mich nämlich überraschend gut - bei dem Gewicht und den Vorurteilen, die es einem da vorm ersten Aufsitzen um die Ohren haut. Und so kommt es auch, dass ich wohl erst nach dem Ambitionierten die nächste rote Ampel anbremse.

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Ich kann ja nur vermuten, wer zuerst in die Bremse greift, weil nach dem galanten Quietschen des 240ers hab ich den anderen nur mehr beim Martern seines Reihenvierers gehört, während ich noch nicht einmal drei der fünf Gänge eingelegt habe. Jetzt stehen wir wieder.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Der Ambitionierte hat das Reißerte in den Griff bekommen, zieht nimmer sinnlos am Gashahn, sondern konzentriert sich sichtlich auf den nächsten Start zum nächsten sinnlosen Rennen, während die Reißerische in der Tasche die Tanzschuhe zählt.

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Und wer sagt, es zählt nicht, wenn ich auf der Geraden mit der 121 PS starken Harley mit dem mörder Drehmoment eine Reiben mit etwa gleich viel Leistung verblase - obwohl die Harley, die Reißerische und ich wohl um 150 Kilo mehr auf die Waage bringen als der Gegner -, dem sei verraten: Auch in den engen Kurven der Stadt waren wir trotz des Radstandes von 1700 Millimetern und bald aufsetzenden Fußrasten siegreich und haben einige Vorurteile zerbröselt wie die Harley jenen, dass zwischen Pilotenschritt und Lenkkopf immer der Tank ist. Der Tank ist in Wirklichkeit unter der Fahrersitzbank, über die beiden Zylinder spannt sich nur einer Attrappe.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Als Biker-Attrappe würde mich der Ambitionierte jetzt wohl auslachen - wenn er nicht irgendwo fürchterlich weinen würde -, könnte er mich sehen, wie ich durch den Tanzsaal stolpere. Aber später, beim Heimfahren, da hab ich dann wieder breite Ellenbogen und komm mir auf der 21.895 Euro teuren Harley wieder ein bisserl vor wie der Terminator... (Guido Gluschitsch, Foto: Wolf-Dieter Grabner; theflow.cc)

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