Wien - Seit sich unter Evolutionsforschern weitgehend durchgesetzt hat, dass die Weitergabe der eigenen - oder möglichst ähnlicher - Gene die Triebfeder für die Selektion darstellt, rätseln Wissenschafter, wieso wir nicht hoffnungslos egoistisch handeln. Eine bisher unterschätzte Komponente dürfte dabei die soziale Selektion spielen, also wie eine Gesellschaft ihre Mitglieder haben möchte. So lässt sich auch die Entstehung von Schuld und Scham nachvollziehen, sagte Karl Grammer (Uni Wien) am Rande des Kongresses "Homo Sociobiologicus" über die Evolution der Kooperation beim Menschen an der Universität Wien.

Selbstlosigkeit

Wieso sich im Zuge der Evolution Verhaltensweisen wie Kooperation oder gar Altruismus entwickeln und halten konnten, ist auf den ersten Blick nicht einsehbar. So hat ein selbstlos handelnder Mensch primär Nachteile zu erwarten, profitieren tut die Umgebung. Damit sollten die Guten längerfristig eigentlich aussterben und die Egoisten fröhliche Urständ' feiern.

Auf der anderen Seite hat eine selbstlose Person gute Chancen, ihrerseits wieder selbstlose Hilfe zu erfahren oder auch durch ihre Selbstlosigkeit im sozialen System der Gesellschaft aufzusteigen. Nicht zuletzt zeigen die Computerexperimente der Spieltheoretiker, dass Selbstlosigkeit mittel- und langfristig Vorteile bringt.

Kooperation

Kooperation kann aber auch den Antrieb haben, dass, wenn schon nicht die eigenen Gene, dann doch die ähnlichen der näheren Verwandtschaft weitergegeben werden. Klassische Beispiele aus dem Tierreich sind etwa staatenbildende Insekten. So verzichten Bienen-Arbeiterinnen auf eigene Nachkommenschaft, damit die - genetisch idente - Königin sich hemmungslos vermehren kann. Doch auch bei nicht völlig identen - aber sehr ähnlichen - Genen funktioniert die Sache, so Berechnungen.

Soziale Selektion

Auch Schuld und Scham sind auf den ersten Blick für ein Individuum mehr hinderlich als förderlich. Dennoch müssen sich diese Gefühle im Zuge der Evolution bewährt haben. "Ein relativ neuer Ansatz dazu ist die soziale Selektion", so Grammer. Das bedeutet, dass eine Gesellschaft bestimmte Verhaltensweisen fördert. Wer sie nicht zeigt, wird ausgegrenzt und kommt auch bei der Fortpflanzung nicht zum Zug.

"Wer Schuld und Scham zeigt, ist in kooperierenden Gesellschaften ein stabilerer Partner und wird deshalb bevorzugt", erklärte der Anthropologe. Das Gegenteil wäre Skrupellosigkeit, diese wird ausgegrenzt. Letztendlich wirkt sich soziale Verträglichkeit auch auf die Partnerwahl aus. (APA)