Die Homöopathie findet auch in der konventionellen Medizin Anerkennung.

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Im Grunde wollen wir alle dasselbe: Gesund werden, wenn wir krank sind. Was aber wenn aus schulmedizinischer Sicht eigentlich gar keine Krankheit besteht? „Die konventionellen Medizin ist darauf ausgerichtet Krankheiten zu behandeln. In der Komplementärmedizin kann man bereits behandeln, bevor organische Schäden eingetreten und nachweisbar sind", offenbart Michael Frass, Präsident des Dachverbandes österreichischer Ärztinnen und Ärzte für Ganzheitsmedizin, eine Fähigkeit der Komplementärmedizin, die der klassischen Schulmedizin fehlt. Mit ihrer Hilfe lassen sich Krankheiten oder krankmachende Zustände erkennen, noch bevor ein Mediziner diese auf konventionelle Weise zu diagnostizieren vermag.

Eine Medizin die Gesunde zu Kranken macht? Skeptiker sehen darin eine Gefahr und bevorzugen den wesentlich simpleren Zugang der Schulmedizin. Diese Form der Medizin, die an Universitäten auf wissenschaftlicher Grundlage gelehrt wird, erlaubt zu reparieren, was schon „kaputt" ist und erweist sich dabei doch häufig als unzulänglich. Nur ein Defizit zum Beweis: Eine Mittelohrentzündung wird von Schulmedizinern als Invasion von Bakterien verstanden und als solche mit einem Antibiotikum behandelt. Kehrt sie wieder erklärt sich das Problem aus der Resistenz von Keimen oder einer allgemein geschwächten Abwehr. Der Versuch den Teufelskreis mit einem potenteren Antibiotikum zu durchbrechen schlägt oft fehl.

Subtiles Harmoniebedürfnis

Die Komplementärmedizin macht sich das schulmedizinische Manko zu nutze und betrachtet chronische Krankheitsbilder als Folge gestörter Selbstregulation. Der Organismus ist aus der Balance geraten, mit dem Resultat der Umprogrammierung innerer Richtwerte. Zwar tut der Körper weiter sein bestes, orientiert sich jedoch nun an diesen neuen, falschen Werten und ist in Folge dessen außerstande die ursprünglich harmonische Ausgangslage wieder zu erlangen. Eine Fehlleitung mit Konsequenzen: Der Körper produziert Krankheit anstelle von Gesundheit. Nun ist die Komplementärmedizin gefragt. Sie gibt kleine Impulse und hilft dem Körper auf diese Weise seine natürliche Mitte wieder zu finden.

Dass die Komplementärmedizin Krankheiten kreiert, wo eigentlich gar keine sind, ist theoretisch also denkbar, doch eher unwahrscheinlich, denn in der Regel verlangt nur derjenige nach therapeutischer Intervention, der auch Beschwerden hat. Wo und welche Art von Hilfe der Gepeinigte in Anspruch nehmen soll, fällt im Dschungel der Komplementärmedizin allerdings schwer. Ob anthroposophische Medizin, Neuraltherapie, Mikroimmuntherapie, Ayurveda, Homöopathie, Traditionell chinesische Medizin, Osteopathie oder Phytotherapie - die Liste an therapeutischen Möglichkeiten ist lang und wird täglich noch länger. Über die Sinnhaftigkeit und Seriosität diverser Methoden wird seit Jahren öffentlich diskutiert und lamentiert und die Angst an einen unfähigen Kurpfuscher zu geraten ist mit dem wachsenden Angebot nur noch größer geworden.

Sinnvolle Ergänzung

Frass, selbst Internist und daher allein aufgrund seiner Ausbildung auf Evidenzbasiertheit getrimmt, pflegt einen pragmatischen Zugang. „Ich beginne mit einer konventionellen Abklärung und wenn sich herausstellt, dass Beschwerden nicht zwangsläufig konventionell behandelt werden müssen, dann empfehle ich, Komplementärmedizin in Anspruch zu nehmen". Kein Ersatz, sondern eine Ergänzung - mit dieser Umschreibung wurde der Begriff Alternativmedizin im deutschen Sprachraum weitgehend verdrängt. Natürliche und konventionelle Heilmethoden haben damit zumindest aus sprachlicher Sicht den Status zur friedlichen Koexistenz erlangt. Von einer Verankerung in die Bundesverfassung, wie sie derzeit in der Schweiz angestrebt wird, ist in Österreich derzeit aber keine Rede.
Vielmehr gilt in Österreich seit dem 1.1.2005 der Erstattungskodex. Der Zugang zu komplementärmedizinischen Arzneimitteln wurde den Patienten damit noch erschwert. Kostenübernahmen durch die Krankenkasse erfolgen nur mehr in Ausnahmefällen und mit hohem administrativem Aufwand.

Seriöser Arzt oder Kurpfuscher?

Dem Laien bleibt neben den Kosten, auch nach vorangegangener schulmedizinischer Abklärung, zusätzlich immer die Qual der Wahl. Was die Seriosität anbelangt, darf er sich in Österreich aber insofern darauf verlassen, als dass komplementärmedizinische Methoden nur von Ärzten und Ärztinnen ausgeübt werden dürfen. Viele davon werden bereits von der Österreichischen Ärztekammer mit einem eigenen Diplom anerkannt.

In seiner Funktion als Präsident des Dachverbandes für Ganzheitsmedizin lehnt Frass jedenfalls keine Methode von vornherein ab. Um jedoch in den Verband aufgenommen zu werden, versteht sich die Nachvollziehbarkeit einer Behandlungsform für ihn ganz von selbst. Mit seinem Spezialgebiet, der Homöopathie, tut er sich dabei relativ leicht. Denn, dass die homöopathische Therapie mehr kann als Placebo, wurde in zahlreichen Arbeiten bewiesen.

Andere Heilverfahren, die keine ärztliche Ausbildung erfordern, wie Kinesiologie oder Reiki sind vom Verbraucher kritischer zu betrachten. Die Esoterik kommt hier mit ins Spiel. Frass persönlich trennt diesen Begriff strikt von der Komplementärmedizin, seine Einstellung zu den genannten Methoden ist aber trotzdem neutral: „Wenn kein organisches Grundleiden vorliegt, das absolut konventionell zu behandeln ist, bleibt es jedem selbst überlassen ob er Kinesiologie oder Reiki anwendet. Ich empfehle es weder noch lehne ich es generell ab". Den Anspruch darauf, so Frass, die alleinig selig machende Medizinform zu sein, gibt es für keine Methode. (phr)