Nach der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzler Faymann und Wissenschaftsminister Hahn am 18. Mai haben sich endlich die emotionalen Wogen um die Diskussion des von Hahn vorgeschlagenen Ausstiegs Österreichs aus dem Cern-Vertrag gelegt, und es ist wieder Rationalität in Österreichs Wissenschaftswelt eingekehrt. Ein guter Zeitpunkt, die Entwicklungen der vergangenen Tage zu reflektieren und zu überlegen, welche Lehren daraus zu ziehen sind.

Interessant war insbesondere zu beobachten, dass die ministerielle Initiative, durch Ausstieg aus dem Cern-Vertrag Geldmittel für die österreichische Beteiligung an einer Reihe europäischer Forschungsinfrastrukturen in den Bereichen Physik, Biologie und Medizin sowie Sozialwissenschaften bereitzustellen, in vielen Medien nicht als Maßnahme zur Sicherstellung einer zukunftsorientierten Forschungspolitik erkannt bzw. vermittelt wurde, sondern primär als eine Art Anschlag gegen die Beteiligung Österreichs an einem wichtigen europäischen Projekt.

Tatsächlich aber versuchte Minister Hahn nichts anderes, als Österreichs Forschung die Chance zu eröffnen, bei einer Reihe von wichtigen europäischen Forschungsinfrastrukturen eine zentrale Rolle zu spielen. Die sogenannte ESFRI-(European Strategy Forum for Research Infrastructures)-Roadmap wurde in einem mehrjährigen Prozess von den EU-Mitgliedsstaaten in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission erarbeitet und stellt erstmals eine gemeinsame europäische Strategie für Forschungsinfrastrukturen dar. Alle Mitgliedsstaaten sind nun aufgefordert, Maßnahmen für deren nationale Umsetzung zu treffen.

Dass dies in Zeiten einer schweren Finanzkrise nicht ohne Prioritätensetzung geht, liegt auf der Hand. Bisher hat jedoch dieser - für manche Wissenschaftsbereiche auch mit Abstrichen verbundene - Prozess in keinem EU-Land auch nur annähernd zu einer derart heftigen innenpolitischen Auseinandersetzung geführt, wie das in Österreich anlässlich des angekündigten Ausstiegs aus dem Cern-Projekt der Fall war - gipfelnd in Appellen an die internationale Scientific Community zur Rettung der nationalen Wissenschaft.

Schmerzhafte Entscheidungen gab es auch anderswo. So hat etwa Frankreich bekanntgegeben, dass es sich aufgrund nationaler Prioritäten nicht an der Forschungsinfrastruktur für Bioinformatik (Elixir) beteiligen wird - ohne dass sich deshalb irgendjemand, obwohl die Bioinformatik eine der Schlüsseltechnologien für alle Bereiche der Biowissenschaften ist, zu einem "internationalen Hilferuf" in der betroffenen Scientific Community bemüßigt gefühlt hätte. Auch in den Niederlanden, wo die Top-Reihung der Forschungsinfrastruktur für Biobanken und biomolekulare Ressourcen ebenfalls zu einer entsprechenden Mittelumverteilung geführt hat, ist niemand auf die Idee gekommen, dies als Anzeichen eines generellen Niedergangs der niederländischen Forschung zu werten.


Politischer Druck


Warum lief der Prozess in Österreich so anders? Hier hat die relativ kleine Gruppe von Hochenergiephysikern ihre gefährdete Beteiligung am Cern-Projekt zum Anlass genommen, die Entscheidung des Ministers zu einem Anschlag auf die österreichische Wissenschaft hochzustilisieren, und entsprechend dieser Konstruktion Österreich und die Welt zur Rettung der österreichischen Wissenschaft aufgerufen. Entscheidend dabei war wohl, dass - obwohl dies einen schweren Schlag gegen jene anderen Wissenschaftsdisziplinen darstellte, deren europäische Beteiligung aus den Mitteln des Cern-Vertrags hätte finanziert werden sollen - eine größeren Debatte zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ausblieb. In diesem Diskussionsvakuum dominierten dann eine elektronische Unterschriftenliste und Drohgebärden aus der Cern-Zentrale, deren Intentionen weniger im Interesse an einer sachlichen Diskussion über die Zukunft der für Österreich relevanten Forschungsstrukturen gründeten als offenkundig darin, möglichst schnell politischen Druck zu erzeugen.


Fragwürdige Vorbildwirkung


Wenn es im Zuge dieser Debatte zu einem Imageschaden für Österreich gekommen ist, dann sicher nicht durch das höchst legitime Anliegen, eine den nationalen Bedürfnissen angepasste Beteiligung an internationalen Projekten zu verhandeln, sondern durch die Verabschiedung aller Prinzipien einer auf Qualitätsevaluation basierenden und an wissenschaftlicher Exzellenz und Zukunftspotenzial orientierten Entscheidungskultur zugunsten eines hierzulande durchaus neuartigen wissenschaftspolitischen Populismus. Für die Zukunft lässt dies nicht Gutes erwarten. Es ist nur zu hoffen, dass die Art und Weise, wie hier eine höchst folgenwirksame Entscheidung zustande kam, keine Vorbildwirkung entfalten wird.

Die Diskussionen der vergangenen Tage haben nicht zuletzt auch die Probleme aufgezeigt, die aus der mangelnden Flexibilität in der Beteiligung an internationalen Großforschungsprojekten wie Cern resultieren. Dies betrifft nicht nur Österreich, sondern auch all jene Länder, die - wie insbesondere die neuen Mitgliedsstaaten - den Zugang zu derartigen Forschungsinfrastrukturen benötigen, um bestimmte Forschungsbereiche in ihrem Land überhaupt erst aufzubauen. Wer kann sich jedoch auf derartige langfristige finanzielle Verpflichtungen einlassen, wenn sie nicht an die jeweiligen Bedürfnisse eines Landes angepasst werden können?

Österreich ist nun aufgefordert, eine der Forschungsstruktur des Landes generell und insbesondere den tatsächlichen Erfordernissen des Instituts für Hochenergiephysik angepasste und gegebenenfalls neu zu definierende Beziehung zu Cern zu verhandeln. Eine Besserstellung Österreichs kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Verhandlungen des Wissenschaftsministers unterstützt und nicht wegen Interessenkonflikten unterlaufen werden. Das in letzter Zeit gezeigte große politische wie auch öffentliche Interesse an der Forschung sollte als wichtiges Zeichen für den leider nur zu oft unterschätzten Stellenwert der Forschung verstanden werden und einen zukunftsorientierten Diskurs zwischen Wissenschaftern, Politik und Öffentlichkeit einleiten. (Kurt Zatloukal/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 5. 2009)