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Von den Austrittsplänen überrascht: Cern-Chef Heuer.

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Über einen Mangel an Interessenten darf sich das europäische Kernforschungszentrum Cern in Genf wahrlich nicht beschweren. Rumänien steht kurz vor einem Beitritt. Die Türkei, Serbien, Israel und Zypern haben zuletzt Anträge gestellt. China hat großes Interesse, ähnlich wie die USA assoziiert zu sein. Allein Österreich will nicht mehr, erzählte der Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer am Mittwoch in seiner ersten ausführlichen Stellungnahme zum für 2011 geplanten Austritt. Eine ungewohnte Situation, so Heuer. Bisher hätte nur Jugoslawien, als es zerfiel, und Spanien unter Franco das Cern verlassen.

Heuer meint, dass der Austritt österreichische Großprojekte gefährde. Das Tumorbehandlungszentrum MedAustron in Wiener Neustadt etwa wird derzeit mit Know-how aus Genf errichtet. Im Wissenschaftsministerium steht man auf dem Standpunkt, das dieses Projekt, das auch vom Land Niederösterreich unterstützt wird, unabhängig von Cern laufe.

Von dem geplanten Schritt hat MedAustron-Geschäftsführer Martin Schima nach eigenen Aussagen erst aus den Medien erfahren. "Zwar geht die laufende Arbeit weiter, und wir haben am Freitag (heute) eine Besprechung mit Mitarbeitern von Cern." Allerdings seien Heuers Aussagen zu der neuen Situation klar. "Ich muss die noble Zurückhaltung aufgeben" , sagt Schima. "Wenn das Projekt gefährdet wird, dann geht es auch um das Leben von 1200 Patienten im Jahr. Ich bitte daher, nicht nur ressortpolitische Überlegungen anzustellen, sondern die Chance des Rückzugs von einem Rückzug zu ergreifen. Das wäre eine vernünftige Entscheidung."

Die Vereinbarung mit der Versicherungsgesellschaft Uniqa, bei der alle Cern-Mitarbeiter krankenversichert sind, wäre für Heuer wohl ebenfalls Geschichte. "Wir schreiben solche Dinge aus, den Zuschlag aber bekommen selbstverständlich nur Mitgliedsländer." Schließlich glaubt Heuer auch nicht an die Fortsetzung befristeter Engagements von Wissenschaftern aus Österreich. "Diejenigen, die bei uns Dauerverträge haben, brauchen sich aber keine Sorgen machen." Der deutsche Experimentalphysiker, seit Anfang 2009 Cern-Generaldirektor, betonte, all diese Entscheidungen nicht selbst zu treffen. Verantwortlich dafür sei der Cern-Rat, dem Vertreter aller Mitgliedsstaaten, derzeit 20 inklusive Österreich, angehören.

Mehrere Jahresbeiträge

Wissenschaftlich sei der Austritt jedenfalls nicht begründbar, meinte Heuer. Die Teilchenphysik könne, gerade durch den im September neu startenden Large Hadron Collider (LHC), zentrale wissenschaftliche Fragen beantworten, wie etwa den Zustand der Materie unmittelbar nach dem Urknall. Die Teilchenphysik habe nur einen Nachteil: "Sie braucht sehr lange, bis sie zu Ergebnissen kommt."

Wissenschaftsminister Johannes Hahn hat, wie berichtet, vergangene Woche bekanntgegeben, die Mitgliedschaft beim Cern Ende 2010 auslaufen lassen zu wollen. Der Mitgliedsbeitrag von etwa 16 Millionen Euro jährlich binde 70 Prozent des Budgets für Mitgliedschaften. Die Sichtbarkeit beim Cern sei gering, der Rückfluss an die österreichische Wirtschaft habe zuletzt abgenommen. Auch das bezeichnet Heuer als eher kurzfristig gedacht. Es sei für Firmen ein Renommee, für das Cern zu arbeiten.

Letztlich bedauerte Heuer die Austrittspläne auch wegen des "hervorragenden österreichischen Doktorandenprogramms am Cern, womit man Vorreiter ist". Österreichische Studenten hätten nicht ohne Grund die höchste Akzeptanzrate bei den Aufnahmen. Kritik übte er, weil auch er von den Austrittsplänen erst aus den Medien erfahren habe.

Der Cern-Finanzchef Thierry Lagrange betont im Gespräch, dass Österreich mit dem Ende der Mitgliedschaft nicht von allen Kosten befreit sei. Man habe eine Pensions- und Krankenversicherungskassa eingerichtet, auch ehemalige Cern-Mitglieder müssten hier ihren Beitrag leisten.

Dazu kämen die Rückzahlungen für den Kredit für den Bau des Colliders, der von 20 Mitgliedern gemeinsam getragen wird. Insgesamt kommt Lagrange auf Zahlungen nach 2010 in der Höhe "mehrerer Jahresmitgliedsbeiträge".

Heuer hofft offensichtlich noch auf eine Wende in der Causa. "Der Zug ist noch nicht abgefahren, die Maschine läuft aber schon." Das erste Gespräch am vergangenen Montag in Wien sei sehr konstruktiv gewesen. Am kommenden Mittwoch erwartet er eine österreichische Delegation in Genf. (Peter Illetschko aus Genf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. Mai 2009)