Inhalte des ballesterer Nr. 42 (Mai 2009) - Ab sofort österreichweit im Zeitschriftenhandel:


SCHWERPUNKT: FC BAYERN MÜNCHEN


Fehlerloser Verein
Der FC Bayern zwischen Erfolg, Arroganz und Fanverweigerung


Bayrische Ich-AGs
Andreas Herzog über den FC Hollywood und Klinsmanns Rauswurf

 

»Dieses Lied war überfällig«
Tote-Hosen-Sänger Campino steht zu seinem Bayern-Hass


»Little Dombi« ganz groß
Richard Kohn, Bayerns erster Meistertrainer, im Porträt


Finale Dramen
Bayerns schlimmste Niederlagen in Wien 1987 und Barcelona 1999


»Die Deutschen sind uns Welten voraus «
Nina Aigner über Unterschiede zu Österreichs Frauen und Bayerns Männer


Dr. Pennwieser
Uli Hoeneß und der Bluthochdruck

 

Außerdem in der neuen Ausgabe:


Schwieriges Erbe
Jubilar Sturm Graz versucht an den richtigen Traditionen anzuknüpfen


Austrias Schatzkammer
Im Horr-Stadion öffnet das erste Klubmuseum Österreichs


Mattersburger Partisan
Ilco Naumoski über Geben und Nehmen auf und neben dem Platz


Der Zwang zum Spektakel
Brasiliens Oscar hadert immer noch mit dem WM-Scheitern von 1982


»Ultrà gibt keine klare politische Richtung vor«
Fanforscher und Politikwissenschafter Jonas Gabler im Interview


Punkpoet, Stadionsprecher und Fanaktivist
»Attila the Stockbroker« lebt für Brighton & Hove Albion


Groundhopping
Grillwurst »Klaus« und Nils Holgerssons »Krümel«


Sinnreich
Wie Teflonritter Sepp Blatter den WADA-Drachen erlegte

Cover: Ballesterer

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Bayern-Manager Uli Hoeneß führt den deutschen Rekordmeister seit 1979: »Ich bin erst stolz, wenn der FC Bayern die Champions League gewinnt und in diesem Jahr auch riesige Gewinne erwirtschaftet«

Foto: REUTERS/Miguel Villagran/Pool

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Auch Ausreißer wie Paul Breitner drückten dem bayerischen Fußball ihren Stempel auf.

Foto: Frank Mächler dpa/lby

Kein anderer Klub hat die Entwicklung des deutschen Fußballs seit Einführung der Bundesliga 1963 auch nur annähernd so stark beeinflusst wie der FC Bayern. Die Gründe liegen nicht nur in der jüngeren Geschichte des 1900 gegründeten Vereins. Modernität und eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Innovation waren schon in frühen Jahren ein Markenzeichen des Rekordmeisters.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab sich der Klub eine effiziente Struktur, knüpfte Verbindungen zur lokalen Wirtschaft und verpflichtete englische und schottische Trainer wie den berühmten William J. Townley. In den 1920er Jahren folgten den Entwicklungshelfern aus den Mutterländern des Fußballs die Lehrmeister des »Donaufußballs«. Der Erste war 1921 der Ungar Dori Kürschner; der Erfolgreichste der Wiener Richard Kohn, der den Bayern 1932 zu ihrem ersten nationalen Titel verhalf.

Unter Kürschner, Kohn und Co. entwickelten die Bayern eine deutsche Dependance des Scheiberlspiels. Der Stil der Mannschaft wurde als flüssig und geschmeidig beschrieben, das Meisterteam von 1932 als die »am schönsten spielende deutsche Elf« gefeiert. Mit der entgegengesetzten Fußballphilosophie von Reichstrainer Otto Nerz hatten die Bayern wenig im Sinn. »Uns Bayern behagte damals das neue Nerz'sche System nicht«, sagte Nationalspieler Sigi Haringer, »wir wollten spielen, stürmen, nicht Fußball rackern oder arbeiten.«

Zähes Ringen ums Profitum

Bemerkenswert ist auch die große Zahl internationaler Begegnungen, die der Klub in den Weimarer Jahren bestritt. 1919 gab der MTK Budapest seine Visitenkarte an Münchens Marbachstraße ab. Die von Alfred Schaffer angeführten Gäste erteilten dem FC Bayern eine Lehrstunde und gewannen vor der Rekordkulisse von 15.000 Zuschauern mit 7:1. Derartiger Anschauungsunterricht war von Bayern-Präsident Kurt Landauer durchaus gewollt, diente er doch der Qualitätsverbesserung des eigenen Spiels. In den folgenden Jahren gastierten unter anderen noch Penarol Montevideo, die Boca Juniors, Slavia Prag, der WAC und die Vienna, der Racing Club de Paris, der Chelsea FC, die Bolton Wanderers, Ferencvaros Budapest und der FC Basel in München.

Der Klub betrieb eine exzellente Nachwuchsarbeit und gehörte zugleich zu den treibenden Kräften der Professionalisierung des deutschen Fußballs. Im Oktober 1930 drohten der FC Bayern und andere Vereine aus Süddeutschland mit ihrem Austritt aus dem Verband, sollte dieser sich weiterhin der Legalisierung des Berufsspielertums widersetzen. Zwei Jahre später erteilte der DFB der Forderung aus Angst vor der Bildung eines eigenen Profiverbands grünes Licht. Eine endgültige Beschlussfassung sollte auf dem Bundestag im Mai 1933 folgen, der jedoch aufgrund der neuen politischen Verhältnisse ausfiel.

Die DFB-Führung benutzte die Machtübernahme durch die Nazis und die von ihnen betriebene Neuorganisation des deutschen Sports, um die Uhr in Sachen Professionalismus zurückzudrehen. Zu den Leidtragenden gehörte auch der FC Bayern, der seine gerade erworbene Spitzenstellung nicht halten konnte. Nationalspieler und Torjäger Oskar Rohr verließ den FCB und wurde einer der ersten deutschen Auslandsprofis. Präsident Landauer und andere wichtige Vertreter des Klubs mussten wegen ihrer jüdischen Abstammung fliehen oder wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Ein neuer Plan von Neudecker und Schwan

Nach dem Zweiten Weltkrieg benötigten die bürgerlichen Bayern viele Jahre, um sich von diesem Einschnitt zu erholen. Es dominierten Vereine, die mit der Schwerindustrie assoziiert waren und deren Mäzenatentum genossen. Von 1943 bis 1963 wurden elf Meistertitel von Klubs aus dem Ruhrgebiet geholt. National konnten die Bayern vorerst nicht mehr reüssieren. Und selbst in der »ewigen Tabelle« der Oberliga Süd (1945-1963) belegten
sie nur den fünften Platz.

Als im Sommer 1963 endlich der Startschuss zur Bundesliga erfolgte, waren die Bayern im Gegensatz zum Stadtrivalen TSV 1860 München nicht dabei. Erst im Sommer 1965 gelang der Aufstieg in die neue Eliteklasse. In der Saison 1965/66 wurde der Aufsteiger mit herzerfrischendem Offensivfußball auf Anhieb Dritter. Der Verein avancierte nun ein weiteres Mal zur Avantgarde des deutschen Fußballs. Präsident war der Bauunternehmer Wilhelm Neudecker, der den »Roten« an der Säbener Straße eine Heimat schuf, was ihm den Titel »Baumeister des FC Bayern« einbrachte. Der politisch konservative und autoritäre Neudecker dachte bereits früh über eine Europaliga nach, arbeitete an Plänen für eine Umwandlung des Klubs in eine AG und war der Erste, der sich beim Fernsehen nicht dafür bedankte, dass es seinem Klub Aufmerksamkeit schenkte, sondern Intendanten mit hohen Honorarforderungen konfrontierte.

1966 ersetzte Neudecker den bis dahin üblichen ehrenamtlichen Spielausschussvorsitzenden durch einen bezahlten Technischen Direktor. Robert Schwan war der erste Manager in der Geschichte der Bundesliga. Mit organisatorischem Geschick und ausgeprägtem Geschäftssinn sorgte er für ein professionelleres Umfeld der Mannschaft, deren Akteure nun wie Angestellte behandelt wurden. Der FC Bayern würdigte Schwan nach seinem Ableben 2002 als »großen Visionär« und »einen der Architekten, die das Fundament legten, auf dem dieser Klub heute steht«. Der Spiegel attestierte ihm, er habe »die Entwicklung des deutschen Profigeschäfts beeinflusst wie kaum jemand sonst«.

Der Öffentlichkeit wurde erstmals bewusst, dass nicht nur die Qualitäten der Spieler, sondern auch die des Managers über den Status eines Fußballklubs entscheiden. Unter dem jugoslawischen Trainer Branco Zebec, der Bayerns »Hurra-Stil« pragmatisierte und dem Spiel von Beckenbauer und Co. eine taktische Facon gab, gewann der Klub in der Saison 1968/69 erstmals seit 37 Jahren wieder den deutschen Meistertitel. Am 17. Mai 1974 krönten sich die Bayern durch ein 4:0 im Wiederholungsspiel gegen Atletico Madrid als erster deutscher Klub zum Meistercup-Sieger. In den beiden folgenden Europacup-Saisonen verteidigten sie diesen Titel jeweils erfolgreich.

Zwischen Anzug und Revolte

Doch der Klub machte nicht nur sportlich von sich reden. Auf dem Spielfeld wie auf den Rängen waren die Bayern Vorreiter eines sozialen Wandels im deutschen Profifußball. Hier tummelten sich überdurchschnittlich viele Abiturienten und Studenten, die bekanntesten waren Uli Hoeneß und Paul Breitner. Unter den Spielern des, von Konservativen geführten, FC Bayern war der aufmüpfige »Geist von 68« stärker vertreten als beim Konkurrenten Borussia Mönchengladbach mit seiner als »Rebell am Ball« apostrophierten Ikone Günter Netzer.

Zugleich half das neue Olympiastadion mit seinen VIP-Kapazitäten und sonstigem Komfort bei der Erschließung eines neuen Publikums. Paul Breitner sagte später: »Ich habe eine Zeit mitbekommen, in der der Fußball absolut gesellschaftsfähig war, in der ich immer gesagt habe, die Leute tun bei uns im Stadion so und setzen sich so auf die Tribüne, wie sie früher in die Oper gegangen sind. Oder wie man draußen auf dem Land in die Kirche geht: um seinen neuen Pelzmantel, sein neues Sakko oder seinen neuen Anzug zu zeigen.«

In der Saison 1978/79 war die Zeit für einen weiteren Modernisierungsschub gekommen. Zunächst schickten die Spieler den Trainer Gyula Lorant per Arbeitsverweigerung in die Wüste. Als Präsident Neudecker den autoritären Zyniker Max Merkel als Nachfolger installieren wollte, kam es zur ersten Spielerrevolte im deutschen Fußball, die sogar die Hauptnachrichten der ARD beschäftigte. Rädelsführer Breitner ließ den Präsidenten wissen: »Herr Neudecker, Sie können morgen den Herrn Merkel präsentieren, aber ohne die Mannschaft. Am besten, Sie treten zurück.«

Hoeneß dreht an der Umsatzschraube

Wenig später warf Neudecker tatsächlich das Handtuch. Noch vor seinem Abgang bestellte er Uli Hoeneß zum Nachfolger von Robert Schwan. Mit seinen 27 Jahren war Hoeneß, der seine Spielerkarriere verletzungsbedingt vorzeitig hatte beenden müssen, im Juli 1979 der jüngste Manager der Bundesligageschichte. Der Klub machte damals zwölf Millionen Mark Umsatz und hatte sieben Millionen Schulden.

Der Neue war dem Rest der Branche weit voraus. Vor Wirtschaftsstudenten referierte Hoeneß über Dinge, die für andere Bundesligafunktionäre Fremdwörter waren. Er sprach von Pay-per-View und dass die TV-Rechte an der Bundesliga irgendwann einmal eine Milliarde Mark pro Jahr bringen würden. In den USA hatte sich Hoeneß über Sportsponsoring und Merchandising informiert. Der Manager war der Erste, der darüber nachdachte, wie man die Abhängigkeit von den Launen des Tagesgeschäfts - hier vor allem den Zuschauereinnahmen - verringern könnte.

Der Klub kehrte nun nicht nur sportlich in die Erfolgsspur zurück, sondern erzielte auch Rekordumsätze und stieß bei Sponsorenverträgen in neue Dimensionen vor. Unter Hoeneß wurden 25 nationale (16 deutsche Meisterschaften, neun DFB-Pokalsiege) und drei internationale Titel (je einmal UEFA-Cup, Champions League und Weltpokal) eingefahren. 30 Jahre nach seinem Amtsantritt betrug der Umsatz 287 Mio. Euro. Der FC Bayern war zu einem modernen Fußballunternehmen mutiert, hatte dabei aber nur selten die Bodenhaftung verloren. Der Klub war zugleich modern und konservativ, und keiner verkörperte diese Identität besser als der Manager, der bei allem Geschäftssinn stets ein »footballman« blieb.

Der Kampf des Projektleiters

National reichte dies zur Branchenführung, die von Werder Bremen und Borussia Dortmund nur vorrübergehend herausgefordert wurde. Doch international konnten die Bayern nur noch einmal wirklich reüssieren, als sie 2001 mit Trainer Ottmar Hitzfeld die Champions League gewannen. Zum Erstaunen der italienischen und spanischen Konkurrenz. »Ich wollte nie den kurzfristigen Erfolg mit dem Risiko des Schuldenmachens erkaufen, sondern ich habe immer gesagt, dass ich erst stolz bin, wenn der FC Bayern die Champions League gewinnt und in diesem Jahr auch riesige Gewinnerwirtschaftet«, sagte Hoeneß. »Die Kollegen vom AC Mailand haben uns gefragt: Wie macht ihr das bloß? Ihr gewinnt die Champions League, in eurer Bilanz sind 59 Millionen Euro Gewinn, und wir haben 30 Spieler, die sind nicht Meister geworden, und haben im ersten Halbjahr 50 oder 60 Millionen Miese.«

Hoeneß spekulierte darauf, dass sich der wirtschaftspolitische Konservativismus des FC Bayern gegen das Schuldenmachen der internationalen Konkurrenz irgendwann durchsetzen würde. Doch in Mailand, Madrid, Barcelona und London, wo sich mit Roman Abramowitsch Hoeneß' neuer Hauptfeind breitmachte, wurde nach anderen Regeln gespielt. Wieder einmal war der Zeitpunkt für einen Modernisierungsschub gekommen, weshalb der Klub im Sommer 2008 Jürgen Klinsmann als neuen Chefcoach anstellte. Der geborene Projektleiter sollte den Klub aufrütteln und die deutsche Nummer eins trainings- und spieltechnisch wieder an die Großen heranführen.

»Wir stehen im Kampf gegen die Milliardäre aus England, Spanien und Italien«, meinte Klinsmann nach seinem Amtsantritt. »Wir sind ein Klub, der Wege finden muss, um diese Klubs, die andere Möglichkeiten haben, zu bekämpfen.« Uli Hoeneß und der Bayern-Vorstand erwarteten sich von Klinsmann, dass er diesen Weg findet. Mit dem 0:4-Debakel in der Champions League gegen den FC Barcelona ist er offensichtlich ein Stück zu weit davon abgekommen. (Text: Dietrich Schulze-Marmeling)