Peter Gridling sieht in den heimischen Moscheen keine Horte der Radikalisierung. Diese würde in kleinem Kreis stattfinden.

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Sorgen machen ihm heimische Islamisten in Terrorcamps, erfuhr Michael Simoner.

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STANDARD: Laut neuem Terrorismusbericht von Europol ist die Anzahl von versuchten und durchgeführten Anschlägen in der EU im Vorjahr um 23 Prozent auf 515 Fälle zurückgegangen. Hat sich die Terrorlage allgemein entspannt?

Gridling: Die Bedrohungslage hat sich nicht gravierend verändert. Am gefährlichsten ist nach wie vor der internationale islamistische Terrorismus, dazu kommen regional spezifizierte Konflikte wie zum Beispiel der Eta-Terror in Spanien. Auch der Nordirland-Konflikt ist wieder aufgebrochen, und die Situation in Griechenland, wo aus Jugendkrawallen heraus viele extremistisch motivierten Staftaten begangen wurden, hat sich ebenfalls verschärft.

STANDARD: Fast alle Anschläge waren regionalen separatistischen Gruppen zuzuordnen, 2008 wurde in Europa nur ein Anschlag islamistischer Extremisten, und zwar in Großbritannien, verzeichnet. Dennoch bezeichnen Sie Islamisten als größte Gefahr. Warum?

Gridling: Weil sich der islamistische Terror nicht gegen einzelne Personen richtet, sondern immer auf möglichst große Opferzahlen abzielt. Gerade unsere Gesellschaft mit großen Verkehrsknotenpunkten bietet dafür viel Angriffsfläche. Flugzeuge als Waffe gegen Hochhäuser oder auch die verhinderten Kofferbombenanschläge in deutschen Zügen im Vorjahr, das alles richtet sich gegen den Westen im Allgemeinen, gegen demokratische Werte.

STANDARD: In Deutschland wird betont, dass die Anschlagsgefahr sehr hoch ist. Zuletzt gab es eine Warnung aus dem bayrischen Innenministerium. In Österreich heißt es immer: kein konkreter Grund zur Sorge. Sind wir zu feig in der Wortwahl?

Gridling: Nein. Deutschland ist allein schon aufgrund seines Engagements in Krisengebieten medial dauernd präsent und daher ein Terrorziel. Real und virtuell. Deutsche Truppen in Afghanistan wurden angegriffen, und es gibt eine regelrechte Propagandaflut im Internet gegen Deutschland, auch im Hinblick auf die im Herbst anstehenden Bundestagswahlen. Deutsche Behörden warnen also nicht grundlos. Österreich steht nicht im gleichen Maß im Fokus der Islamisten, aber Österreich ist auch ein deutschsprachiges Land, und gerade in Asien wird da manchmal kein Unterschied gemacht. Es gibt aber auch in Österreich junge Muslime, die radikalisiert werden.

STANDARD: Manche sollen in Terror-Trainingslagern in Pakistan ausgebildet worden sein. Stimmt das?

Gridling: Ja, die Sicherheitsbehörden beobachten diesen Trend mit Sorge.

STANDARD: Es wird nur beobachtet?

Gridling: Mehr kann man im Moment nicht machen. Radikale Positionen einzunehmen ist ja nicht strafbar, und auch die Teilnahme an Trainingscamps ist derzeit noch nicht verboten. Aber Innenministerin Maria Fekter plant eine gesetzliche Handhabe gegen Terrorausbildung im Ausland.

STANDARD: Die heimische Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen eine mutmaßliche Terrorzelle mit fünf Mitgliedern. Wie viele radikalisierte Islamisten in Österreich werden als gefährlich eingeschätzt?

Gridling: Zahlen sagen nicht viel aus. Aber es sind deutlich mehr als die fünf angezeigten Fälle.

STANDARD: Sprechen wir von Hunderten?

Gridling: Nein. Das ist in Österreich kein Massenphänomen. Von den rund 350.000 Muslimen gilt nur ein verschwindend kleiner Bruchteil als radikal. Auch die Behauptung, dass Moscheen ein Hort der Radikalisierung seien, ist falsch. Die meisten Moscheen sind, was sie sind: Gebets- und Ausbildungshäuser. Radikalisierung und Aufhetzung finden im kleinen Kreis statt. Durch die Vernetzung per Internet gibt es auch Fälle von Selbstradikalisierung: Ein Terrorverdächtiger, der im Vorjahr in Großbritannien festgenommen wurde, hatte keinerlei Verbindung zu anderen Personen, war kein Mitglied einer Terrorzelle. Er hatte ganz allein einen Anschlag vorbereitet.

STANDARD: Wenn sie Osama Bin Laden eine Frage stellen könnten, was würden Sie ihn fragen?

Gridling: Am meisten würde mich interessieren, wie er es geschafft hat, diesem hohen Verfolgungsdruck standzuhalten. Bin Laden ist schon ein teurer Feind.

STANDARD: Europol hat 2008 in Österreich sechs Anschläge separatistischer Gruppierungen gezählt. Welche Gruppen waren das?

Gridling: Das waren alles Anschläge im türkisch-kurdischen Segment. Hintergrund waren Meldungen über angebliche Misshandlungen von Abdullah Öcalan in der Türkei in Haft. Daraufhin gab es fünf Brandanschläge, die der kurdischen Seite zuzurechnen waren, und einen, für den nationalistische Türken verantwortlich gemacht wurden.

STANDARD: Im vergangenen Jänner wurde in Wien der tschetschenische Politflüchtling Umar I. auf offener Straße erschossen. Hat der Verfassungsschutz das Gefahrenpotenzial unterschätzt?

Gridling: In Österreich leben rund 30.000 Menschen, die aus Tschetschenien geflüchtet sind. Damit haben wir auch alle Konflikte, die in deren Heimat ausgetragen werden, hier bei uns. Auch für uns ist es oft schwierig, die unterschiedlichen Strömungen auseinanderzuhalten - wer ist Pro-Russland oder Anti-Kadyrov oder islamistisch, oder wer ist für die tschetschenische Exilregierung in London? Ein Fall wie der Mord an Umar I. gibt immer Raum für Spekulationen. Die Sicherheitsbehörden haben aber nicht zu spekulieren, sondern zu ermitteln. Das haben wir gemacht, heute wissen wir, wie die Tat abgelaufen ist, die Verdächtigen ermittelt. Ein Teil wurde verhaftet, und nach den Flüchtigen wird gefahndet.

STANDARD: Weil offenbar ein Schutzansuchen des späteren Mordopfers falsch eingeschätzt und abgelehnt worden war, werden jetzt Fragebögen an tschetschenische Flüchtlinge verteilt. Darauf wird den Betroffenen mitgeteilt, dass sie möglicherweise auf einer Todesliste stehen und, falls sie sich bedroht fühlen, den Polizeinotruf 133 wählen sollen. Ist das nicht recht unbeholfen?

Gridling: Sicherheitsbehörden sind grundsätzlich dazu verpflichtet, Personen, die in Gefahr sind, zu schützen. Es ist aber klar, dass nicht alle 30.000 Tschetschenen in Österreich geschützt werden können, wenn keine konkreten Bedrohungen feststellbar sind. Von der angeblichen Todesliste, über die im Zusammenhang mit dem Mordfall berichtet worden war, hatten die Behörden keine Kenntnis. Unglücklicherweise wurde durch mediale Spekulationen eine Liste, die von der Exilregierung in London aufgestellt wurde, als "Todesliste" verkauft. Auf dieser Liste sind mehr als 1800 Personen angeführt, eine größere Zahl davon ist in Österreich aufhältig. Zu diesen mussten die Behörden Kontakt aufnehmen, und dabei wurden eben gezielt Fragen über mögliche Gefährdung und Schutzmaßnahmen gestellt.

STANDARD: Gab es als Folge davon Personenschutzmaßnahmen?

Gridling: Personenschutzmaßnahmen entstanden daraus nicht; allerdings wurde in einigen Fällen ein Beratungsgespräch geführt. (DER STANDARD, Printausgabe, 02.05.2009)