Inmitten der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Generationen ist in Österreich eine heftige Verteilungsdebatte ausgebrochen - und es ist die falsche Debatte zur falschen Zeit.

Natürlich sind Vermögen und Einkommen nicht gleich verteilt, aber das können sie in einer freien Gesellschaft gar nicht sein. Im internationalen Vergleich aber leben wir in einem Land mit einem geringen Gefälle zwischen Arm und Reich - die Zahl der Millionäre ist klein, und selbst am unteren Rand der Gesellschaft gibt es dank des guten Sozialsystems kaum ein echtes Elend.

Wohl wäre noch etwas mehr Gerechtigkeit wünschenswert, doch wer dies über höhere Steuern erzwingen will, sorgt dafür, dass am Ende für alle weniger da ist. Denn eine Wirtschaft wächst nur, wenn sich individuelle Leistung auszahlt. Und gerade jenen kreativen Geister, die in der postindustriellen Gesellschaft am meisten zur Wertschöpfung beitragen, steht es frei, ihren Wohnsitz von Wien nach Bratislava oder Sopron zu verlagern, wenn sie sich allzu sehr geschröpft fühlen.

Auch der Zeitpunkt der Debatte ist äußerst ungünstig. In der jüngsten Krise haben auch Vermögende verloren. Jetzt geht es nicht um die Verteilung des Kuchens, sondern um dessen Erhalt. An diesem 1. Mai hätte man statt über eine "Reichensteuer" über die Effizienz des Steuersystems und der Staatsausgaben diskutieren sollen - über die viel zu teure Verwaltung und jene Landespolitiker, die aus wahltaktischem Kalkül Geschenke an den Mittelstand à la Gratiskindergarten verteilen, Milliardengräber wie den Koralmtunnel erzwingen und damit entscheidend zur hohen Abgabenlast und den explodierenden Defiziten beitragen.

An diesen politischen Irrwegen ist nicht nur die SPÖ schuld, die immer öfter Populismus über Staatsverantwortung stellt, sondern auch die ÖVP. Es gibt tatsächlich drängende Verteilungsfragen, die von den Bürgerlichen aus Rücksicht auf ihre Klientel allerdings ignoriert werden.

Die Hauptsünde unseres Steuerwesens ist die zu hohe Belastung der Arbeit im Vergleich zum Kapital. Deshalb wäre eine Vermögenszuwachssteuer sinnvoll, wenn mit deren Einnahmen niedrige und hohe Einkommen entlastet werden. Deshalb hätten Erbschafts- und Schenkungsteuer nie abgeschafft werden dürfen, deshalb müsste man dringend die Grundsteuern erhöhen.

Denn die lächerlich geringen Abgaben für Grund- und Hausbesitz tragen zu einer weiteren Ungleichheit in diesem Land bei - der zwischen Jung und Alt. Im Mittelstand sitzen viele Ältere in wertvollen Eigenheimen, während ihre Kinder teuer mieten müssen - oder aber von Zuwendungen der Eltern und Schwiegereltern abhängig sind. Doch bei all diesen Steuerthemen blockiert die ÖVP, genauso wie beim Föderalismus und den Beamten.

Die Kluft zwischen geschütztem und ungeschütztem Sektor ist die vielleicht tiefste Ungerechtigkeit, und diese wird in der Krise noch größer. Die Jobsicherheit der öffentlich Bediensteten ist in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit viel mehr wert als die etwas höheren Gehälter im privaten Sektor - und je tiefer die nun fallen, desto gewichtiger wird das Privileg des öffentlichen Dienstes.

Aber hat nicht Bundeskanzler Werner Faymann gerade eine Nulllohnrunde und damit Einkommensverluste für Arbeitnehmer ausgeschlossen? Abgesehen davon, dass dies Sache der Sozialpartner und nicht der Regierung ist, öffnet sich damit die nächste Kluft: zwischen jenen, die ihren Job gerade noch halten, und denen, die ihn nun verlieren werden. Viele krisengeschüttelte Branchen haben keine Wahl, als die Lohnkosten für einige Jahre zu senken, wenn sie Arbeitsplätze bewahren wollen. Wer, wie der Kanzler auf seinen Plakaten, "für die Arbeitsplätze kämpfen" will, sollte dies eigentlich wissen. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 02.05.2009)