Normalerweise dauert es nicht 20 Jahre, bevor man jemanden als vermisst meldet. Doch der Fall, mit dem Inspektor Karen Pirie konfrontiert wird, ist sehr speziell. Der Verschwundene war ein Kumpel, der seit dem großen Streik der schottischen Bergarbeiter im Jahre 1984 abgängig ist. Nun sucht ihn seine Tochter, weil sie einen Knochenmarkspender für ihren Sohn braucht. Die Ehefrau scheint ihren Mann nicht vermisst zu haben, zu stark war das bittere Gefühl der Verfemtheit, das der Familie eines mutmaßlichen Streikbrechers entgegengebracht wurde. Auch andere wollen nicht so gern an diese Zeit erinnert werden, nicht die einstigen Freunde und auch nicht der betuchte Sir Brodie, dessen Tochter und Enkel damals entführt wurden.

Jedenfalls möchte er nicht von karrierebesessenen Journalistinnen heimgesucht und an den alten Schmerz erinnert werden. Doch was die ungebetene Besucherin in der Ruine einer toskanischen Villa gefunden hat, wirft ein neues Licht auf den schon längst ad acta gelegten Fall. Val McDermids Roman ist ein beklemmend brutaler Rückblick auf die Thatcher-Ära: Der vergebliche Streik der Bergarbeiter hatte verheerende soziale Folgen. Zerstörte Familien, Hunger und Gewalttätigkeiten, Abwanderung und die Zerschlagung der Gewerkschaft haben, so McDermid, "die gesamte Gesellschaft verändert". Die Autorin schöpft hier aus ihrer eigenen Biografie: Sie stammt aus einer schottischen Bergarbeiterfamilie. (Ingeborg Sperl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.05.2009)