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Masken gegen das tödliche Virus: In Mexiko-Stadt rät die Regierung mittlerweile, größere Menschenansammlungen zu vermeiden. Mehr als 1300 Menschen sollen mit Schweinegrippe infiziert sein.

Foto: REUTERS/Jorge Dan Lopez

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Grafik: STANDARD, Quelle: APA

Mexiko-Stadt/Washington/Genf/Brüssel - Laut spanischem Gesundheitsminister habe sich der kürzlich aus Mexiko zurückgekehrte 23-jährige Mann infiziert. Wie Trinidad Jimenez am Montag in Madrid mitteilte, schlage die Behandlung bei dem Patienten gut an, er sei nicht ernsthaft erkrankt. Weitere 17 Menschen in Spanien stehen im Verdacht, sich angesteckt zu haben.

In Venedig ist eine 31-jährige Frau wegen Verdachts auf eine Schweinegrippe-Erkrankung ins Krankenhaus gebracht worden. Der Gesundheitszustand der Frau ist nicht besorgniserregend, sie schwebt auch nicht in Lebensgefahr, teilten die Ärzte mit.

Die Frau war am Sonntagabend mit hohem Fieber ins Spital eingeliefert worden. Sie war seit wenigen Tagen aus San Diego in Kalifornien, zurückgekehrt, von wo mehrere Fälle von Schweinegrippe gemeldet wurden. Bluttests sollen in den nächsten Tagen zeigen, ob die Frau an dem Virus der Schweinegrippe erkrankt ist, teilten die Gesundheitsbehörden in Venedig mit.

In Mexiko stieg die Zahl der Toten nach Angaben des Gesundheitsministeriums inzwischen auf 103. Wie viele Menschen mit dem Virus infiziert sind, ist noch unklar. Die US-Regierung rief den Gesundheits-Alarmzustand aus. Mindestens 20 Infektionen wurden bestätigt, in Kanada sind es sechs.

Die beiden größten deutschen Reiseveranstalter TUI und Thomas Cook haben ihre Reisen nach Mexiko-Stadt abgesagt. TUI bietet bis einschließlich 4. Mai keine Ausflüge mehr in die Region an. Umbuchungen und Stornierungen sind für die Kunden kostenlos, berichtete Reuters. Laut TUI befinden sich aktuell 25 österreichische und 1.000 deutsche Urlauber mit dem Reiseveranstalter in Mexiko. Von ihnen seien aber nur vier Deutsche in der Krisenregion.

Keine agrarischen Maßnahmen notwenig

In Österreich hat die Schweinegrippe bisher keine Folgen, auch Maßnahmen sind derzeit keine geplant. "Es gibt nach wir vor keine Empfehlung der WHO", so ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Ein Alleingang Österreichs sei nicht geplant. Reisewarnung oder eine EU-weite Empfehlung liege ebenfalls nicht vor. Aus agrarischer Sicht sind wegen der Schweinegrippe in Mexiko in Österreich keine unmittelbaren Maßnahmen notwendig. Das sagte Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (V) auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz in Wien am Montag. Man konzentriere sich auf den Aspekt der Übertragung von Mensch zu Mensch, was "dramatisch" sei. Es sei noch nicht klar, woher das Virus komme und man müsse dahingehend auf die Untersuchungsergebnisse warten. "Direkt aus agrarischer Sicht gibt es keinen Handlungsbedarf", so der Minister.

Die EU-Gesundheitskommissarin Anroulla Vassiliou warnt vor Reisen in betroffene Gebiete . Auf nicht unbedingt notwendige Reisen in von der Krankheit betroffene Regionen sollte verzichtet werden, sagte Vassiliou am Montag.

EU-Krisensitzung

Die EU-Kommission hat die Gesundheitsminister der Mitgliedsländer zu einer Krisensitzung über die Schweinegrippe einberufen. Es sei zu früh, um über die Situation zu spekulieren, sagte Kommissions-Präsident Manuel Barroso am Montag vor Journalisten in Athen. "Wir beobachten die Situation sehr genau, zusammen mit den Mitgliedsstaaten." Die EU-Gesundheitsminister werden frühestens Donnerstag dieser Woche zu Beratungen über die Folgen der Schweinegrippe zusammentreffen. Ein Kommissionssprecher erklärte am Montag in Brüssel, es handle sich um einen völlig neuen Virus, der "Grad der Gefährdung" werde untersucht. Ob es sich um eine Pandemie - eine weltweite Epidemie - handeln könnte, wollte der Sprecher nicht sagen. "Wenn es eine Pandemie ist, wird sie überall sein".

"Potenzial für eine Pandemie"

Seit Mitte April erkrankten in Mexiko nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr als 1.600 Menschen. Präsident Felipe Calderon ermächtigte die Gesundheitsbehörden, Grippekranke zu isolieren und deren Wohnungen zu inspizieren. Soldaten verteilten sechs Millionen Atemschutz-Masken an die Bevölkerung. Schulen, Märkte, Restaurants und Kinos wurden geschlossen. Die Weltbank sagte der Regierung zur Bekämpfung der Krankheit Kredite in Höhe von 225 Millionen Dollar (170 Mio. Euro) zu.

Die Gesundheitsbehörden in Hongkong erklärten am Montag, Wissenschafter wollten einen Viren-Schnelltest entwickeln. Ergebnisse sollen künftig innerhalb von sechs Stunden vorliegen.

Das US-Zentrum für Seuchenkontrolle teilte am Sonntag mit, inzwischen seien 20 Fälle von Schweinegrippe in fünf US-Bundesstaaten bestätigt worden. Alle Patienten seien wieder genesen oder dabei, sich zu erholen. Es gebe keinen Grund zur Panik, betonte das Weiße Haus.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich besorgt und erklärte, die Grippe habe das "Potenzial für eine Pandemie", also einer die Kontinente übergreifende Ausbreitung. Noch könne aber nicht gesagt werden, ob es dazu komme. Erste Länder wie etwa Polen, Italien oder Venezuela sprachen Reisewarnungen für Mexiko aus.

Der neue Grippeerreger weist genetische Merkmale des Schweins, von Vögeln und auch des Menschen auf - in einer Art, wie es die Forscher bisher noch nicht beobachtet haben. "Wir sind sehr, sehr besorgt", sagte WHO-Sprecher Thomas Abraham. "Wir haben es mit einem neuen Virus zu tun, und er verbreitet sich von Mensch zu Mensch."

Experten in Deutschland versuchten die Menschen zu beruhigen. Es sei zwar denkbar, dass der Erreger bis nach Deutschland komme. Aber "wir sind gut vorbereitet. Es gibt Pläne für den Fall der Fälle", sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Jörg Hacker, der "Neuen Presse" in Hannover. So liege ein Nationaler Pandemieplan von Bund und Ländern vor.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit, Thomas Mettenleiter. "Aber Panik ist immer die falsche Reaktion", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Derzeit reichten übliche hygienische Grundregeln als Schutz aus. Der Verzehr von Schweinefleisch sei kein Problem.

Impfstoffproduktion langwierig

Die großtechnische Produktion eines neuen Impfstoffs gegen eine Influenza - zum Beispiel gegen die derzeit auftretende "neue" Schweinegrippe - dauert nach Angaben des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts im in Langen bei Frankfurt mindestens zehn bis zwölf Wochen. Im Fall des aktuellen Schweinegrippe-Auftretens sei man aber noch längst nicht so weit, sagte PEI-Sprecherin Susanne Stöcker am Montag.

Der Grund dafür: Derzeit sei die US-Gesundheitsbehörde CDC mit der Herstellung eines sogenannten Impfstamms beschäftigt. Dazu werde das Virus so verändert, dass es sich in Hühnereiern vermehre. Für die industrielle Impfstoffherstellung seien nach wie vor Hühnereier die Basis. Der Schweizer Pharma- und Diagnostikkonzern Roche prüft angesichts des Ausbruchs der Schweinegrippe eine Produktionsausweitung seines Grippemedikaments Tamiflu. Die Herstellung des Mittels benötige allerdings rund acht Monate, sagte eine Sprecherin des Basler Konzerns am Montag.

Das ursprünglich von der US-Biotechnologiefirma Gilead Sciences entwickelte Medikament hatte vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Vogelgrippe Bekanntheit erlangt. Weltweit hatten sich Regierungen und Unternehmen mit Tamiflu eingedeckt, um für den Fall eines globalen Ausbruchs der Krankheit gerüstet zu sein. Für eine wirkliche Pandemie dürften die Vorräte aber trotzdem nicht reichen.

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Das mexikanische Gesundheitsministerium ist seit dem Wochenende eine Instanz für das gesunde Grüßen. Nicht mit Küsschen, nicht mit Händeschütteln, steht auf der Homepage der Behörde. Der Grund: die sich rasant ausbreitende Grippewelle in Nordamerika. Die Möglichkeit, Freunde zu treffen, ist besonders in der Hauptstadt Mexiko-Stadt ohnehin recht eingeschränkt. Die sonntäglichen Fußballspiele fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Konzerte und ein Laufbewerb wurden abgesagt, den Kirchgängern wurde geraten, sich eine Messe im TV anzusehen.

Am 18. März begannen die Gesundheitsbehörden im Großraum der Hauptstadt, in dem rund 20 Millionen Menschen leben, erste Fälle von Grippe zu registrieren, die teils zu schweren Lungenentzündungen führten. Bis zum Ende der Woche wurden 854 Fälle gemeldet, 59 Patienten starben. Am Sonntag war bereits die Rede von über 1300 Infektionen im ganzen Land. Denn die Krankheit blieb nicht lokal beschränkt. In der zentralmexikanischen Stat San Luis Potosi wurden 24 Fälle und drei Tote gemeldet. In Mexicali, an der Grenze zu den USA, waren es vier Fälle.

Noch warnte Gregory Hartl, Pressesprecher der Weltgesundheitsorganisation WHO, vor voreiligen Schlüssen. "Es muss nicht heißen, dass jede Erkrankung mit dem neuen Virus zusammenhängt. In 18 Fällen ist allerdings die Erkrankung mit H1N1 im Labor nachgewiesen worden", sagte er am Sonntag zum STANDARD. "Es wird noch bis Montag oder Dienstag dauern, bis wir Genaueres wissen."

Gesundheitswächter rund um die Welt sind allerdings alarmiert. Auch in den USA gibt es Infektionen und dubiose Erkrankungen bei Mexiko-Touristen. Das Gesundheitsministerium warnte aber vor Panik. Anderswo wurden Verdachtsfälle gemeldet, in Neuseeland beispielsweise zehn Schüler, die von einer Mexiko-Reise zurückgekommen waren.

Die Europäische Kommission betonte am Sonntag, es seien ihr keine Fälle der neuen Schweinegrippe in der EU bekannt. Allerdings standen in Frankreich und Spanien fünf Menschen unter Beobachtung, nachdem sie mit grippeähnlichen Symptomen aus Mexiko zurückgekehrt waren.

Fluggast-Kontrollen in Asien

Noch werden in Europa allerdings keine Gesundheitskontrollen auf den Flughäfen durchgeführt, zwischen Österreich und Mexiko gibt es nicht einmal Direktverbindungen mit Linienflügen. Anders in Asien. In Japan, Hongkong, Malaysia und Südkorea nahmen die Quarantänebehörden ihre Arbeit auf. Passagiere müssen in Japan thermografische Kameras passieren, mit denen Fiebernde enttarnt werden sollen.

Wie kritisch die Situation wirklich ist, wollte WHO-Sprecher Hartl nicht abschätzen. Die Organisation bezeichnete es zunächst als "medizinisches Ereignis von internationaler Bedeutung".Doch am Dienstag wollen die Seuchenexperten beraten, ob sich die Gefahr einer Pandemie durch das neue Virus vergrößert habe.

Für Mexiko könnte der Ausbruch jedenfalls gravierende Auswirkungen haben. Russland hat am Wochenende bereits eine Reisewarnung ausgesprochen. In Österreich ist man noch abwartend, die heimische Botschaft mahnt lediglich zur Vorsicht. ((APA/dpa/Reuters/Michael Möseneder/DER STANDARD, Printausgabe, 27. 4. 2009)