"Aufsichtsrat ist ein Job, der Zeit kostet. Das ist keine Wärmestube", erklärt Richard Schenz im Gespräch mit derStandard.at.

Foto: derStandard.at/Rom
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Richard Schenz, Kapitalmarktbeauftragter des Finanzministers, über das schlechte Abschneiden Österreichs bei einer Studie zur Corporate Governance, warum man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen und warum er so manche Bonuszahlung nicht versteht

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derStandard.at: Vor einem Jahr haben Sie sich in einem Interview darüber geärgert, dass Sie nicht in österreichische Aktien investiert haben. Ärgern Sie sich heute auch noch?

Richard Schenz: Ja, denn ich hätte in produzierende Unternehmen investiert. Und die kommen wieder, da mache ich mir keine Sorgen. Dass es an den Aktienmärkten bergauf und bergab geht, ist normal. Aber langfristig gesehen geht's bergauf. In österreichische Firmen kann man durchaus investieren.

derStandard.at: War der Crash an den Finanzmärkten vom Herbst für Sie absehbar?

Schenz: Ich habe damit gerechnet, dass sich diese überhitzte Konjunktur abschwächen wird. Womit ich nicht gerechnet habe, war, dass amerikanische Finanzprodukte den globalen Markt aus den Fugen geraten lassen. Dass von amerikanischen Ratingagenturen mit Triple A versehene Finanzprodukte "toxic assets" sind, habe ich nicht erwartet. Aber ich habe mir darauf meinen Reim gemacht. Wenn eine amerikanische Ratingagentur bewertet, bin ich sehr vorsichtig.

derStandard.at: Wie stehen Sie zur Idee einer europäischen Ratingagentur?

Schenz: Ich glaube, dass europäische Ratingagenturen Europa besser kennen und auch konservativer bewerten würden als amerikanische. Warum sollen wir Europäer uns nur von amerikanischen Ratingagenturen bewerten lassen?

derStandard.at: Unlängst erschien eine Studie, in der Österreich an letzter Stelle bezüglich der Corporate Governance gereiht wurde (derStandard.at hat berichtet). Kritik am Corporate Governance Kodex ist ja generell nichts Neues. Ärgert Sie als "Quasi -Vater" der Corporate Governance in Österreich diese Kritik?

Schenz: Es ärgern mich zwei Dinge: Wenn österreichische Unternehmensführer den Corporate Governance Kodex kritisieren, ohne zu wissen, dass der Kodex international nicht mehr wegzudenken ist und dort und da auch schärfer ist. Unser Kodex ist sicher international herzeigbar, dafür müssen wir uns bestimmt nicht genieren. Aber er ist auch sicher kein überzogen scharfer Kodex.

Zum zweiten ärgert es mich, wenn ausländische Agenturen wie in diesem Fall Heidrick & Struggles Äpfel mit Birnen vergleichen und den Kodex kritisieren.

derStandard.at: Was meinen Sie damit?

Schenz: Eine amerikanische Personalberatungsfirma vergleicht hier das "one-tier board system" mit dem "two-tier board system". In Österreich haben wir einen Aufsichtsrat und einen Vorstand, im angloamerikanischen Raum und in einigen wenigen anderen europäischen Ländern gibt es ein Board. Da gibt es grundlegende Unterschiede. Einer der Kritikpunkte in der Studie war die Häufigkeit der Aufsichtsratssitzungen. In two-tier board Systemen muss der Aufsichtsrat zumindest quartalsmäßig zusammentreffen, beim one-tier board System gibt es in der Regel monatliche Sitzungen. Natürlich gibt es dadurch weniger Sitzungen pro Jahr. Auch die Bezahlung und die Zusammensetzung der Gremien wurde in dem Report moniert, sind aber unter den Systemen kaum vergleichbar. Wenn eine Studie gemacht wird, wie Österreich dem Kodex nachkommt, sollte man gefälligst Länder mit einem two-tier System untereinander vergleichen. Da wird praktisch die Frage in den Raum gestellt, welches System das bessere ist. Und die Frage gebe ich an die Studienautoren zurück: Wo gibt es mehr Pleiten - in Europa oder in Amerika?

derStandard.at: Ist das wirklich so einfach?

Schenz: Nein, aber so einfach sagen, dass das one-tier board System besser ist, kann man auch nicht. Ich gebe es offen zu, ich bin kein Freund des angloamerikanischen one- tier board Systems. Was meiner Meinung nach beispielsweise völlig gegen jede Corporate Governance spricht, ist wenn der Chairman des Boards zugleich auch der CEO ist. Das gibt es ja in den one-tier board Systemen durchaus. Der Aufsichtsrat soll nicht das operative Geschäft führen, sondern Sparringpartner für den Vorstand sein. Eine Strategiediskussion ist erforderlich. Nicht nur retrospektiv überprüfen, sondern auch, wo geht die Firma hin.

Den Kodex stelle ich außer Streit, der ist in Ordnung. Da können Heidrick & Struggles sagen, was sie wollen. Der Kodex ist lebbar, beinhaltet keine Schikanen, aber er beinhaltet die eine oder andere Kante oder Ecke. Auch interne Kritiker beschweren sich gerne über seine Härte. International ist der Kodex im Mittelfeld. In Österreich nehmen Unternehmen, die 95 Prozent der Marktkapitalisierung entsprechen, den Kodex sehr ernst und halten ihn ein.

derStandard.at: Gibt es Punkte, die Sie dennoch als verbesserungswürdig erachten?

Schenz: Was man kritisieren kann, ist die Zusammensetzung der Aufsichtsräte. Zu wenige Frauen, zu wenig international. Im Kodex gibt es aber einen Hinweis auf den Frauenanteil, von einer gesetzlichen Festlegung halte ich nichts. Natürlich muss man aber zugeben, dass wir beim Frauenanteil und auch bei der Internationalität von Aufsichtsräten noch Nachzügler sind, da gibt es Nachholbedarf.

Die Arbeit der Aufsichtsräte hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Zeiten sind vorbei, als Aufsichtsratsposten noch Prestigeposten waren. Ein Aufsichtsrat weiß, dass er auch in die Verantwortung genommen werden kann, da gibt es schon Fälle. Aufsichtsrat ist ein Job, der Zeit kostet. Das ist keine Wärmestube. Das ist kein Gremium, wo man sich trifft und Netzwerke schmiedet und sich gegenseitig Dinge freundlich auf den Kopf zu sagt.

derStandard.at: Es muss einen Grund geben, warum österreichische Aufsichtsräte weniger international besetzt sind. Glauben Sie, dass die im Vergleich geringere Bezahlung ausschlaggebend ist?

Schenz: Auch, aber ich glaube, dass Österreich noch zu verschlossen ist und sich nicht so gerne international öffnet. Das wird aber noch kommen, weil die österreichischen Unternehmen auch international sehr stark tätig sind. Das geht nicht von heute auf morgen.

derStandard.at: Andererseits diskutiert die Öffentlichkeit gerade auch eine Limitierung von Managergehältern.

Schenz: Eine mit Zahlen festgelegte Limitierung wird nicht in den Kodex hineinkommen, solange ich Vorsitzender bin. Der österreichische Kodex beinhaltet aber, dass die Bezahlung und die Bonifikationen des Vorstandes auf langfristiger, nachhaltiger Wertschaffung aufbauen sollen.

Das ist meiner Meinung nach auch ausreichend. Wenn ich als Eigentümer mit den Tätigkeiten des Aufsichtsrates nicht zufrieden bin - der ja schließlich die Gehälter und Bonuszahlungen festlegt -, habe ich ein ganz einfaches Mittel: Ich werfe den Aufsichtsrat einfach raus. Ich bin auch nicht dafür, dass man in der Hauptversammlung darüber befindet.

Die Aufsichtsräte wissen, was international üblich ist. Und die sind dafür zuständig, dass die Vorstände gerecht bezahlt werden. Was ich hineinreklamiert habe - darauf bin ich auch sehr stolz - ist, dass der Aufsichtsrat keine stock options haben soll. Der Aufsichtsrat soll gut, aber konstant bezahlt werden, in guten wie in schlechten Zeiten. Der Vorstand kann sich seine Lorbeeren abholen, oder eben nicht.

derStandard.at: Das heißt aber, dass Sie schon dafür sind, Bonuszahlungen stillzulegen, wenn die Geschäfte nicht gut laufen?

Schenz: Absolut. Ich verstehe so manche Bonuszahlung nicht. Aber wenn ich Aufsichtsrat wäre, würde ich gegen nicht gerechtfertigte Bonuszahlungen stimmen. Für uns ist daher die Transparenz der Gehälter sehr wichtig, was fallweise aus den Unternehmen stark kritisiert wird. Wir wollen eine individuelle Aufschlüsselung der Gehälter in fixe und variable Bestandteile. Denn dann kann der Investor sehen, ob die Bezahlung gerechtfertigt ist oder nicht.

derStandard.at: Wäre es nicht gerade in Zeiten wie diesen wichtig - gerade auch um Vertrauen wieder herzustellen -, die Corporate Governance ins Zentrum der Debatte zu stellen?

Schenz: Der Corporate Governance Kodex sollte auf jeden Fall mehr im Gespräch und populärer sein. Denn er ist schließlich ein Dauerbrenner bei jeder Hauptversammlung. Corporate-Governance-Berichte, vor allem wenn sie extern evaluiert sind, haben eine klare Aussagekraft. Und der Investor kann sich ein Bild machen, wie die Firma organisiert ist, wie sie geführt wird, wie der Aufsichtsrat agiert. Wie gesagt, bei der Mehrheit der Unternehmen ist es Standard, bei anderen weniger. Ein Allheilmittel gegen die Finanzkrise ist der Corporate Governance Kodex aber sicher nicht. Jedoch wenn manche Firmen den Corporate Governance Kodex eingehalten hätten (wenn der Vorstand den Aufsichtsrat zeitnah, offen, richtig informiert hätte), wäre so manche Pleite nicht möglich gewesen. (Daniela Rom, derStandard.at, 27.4.2009)