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Montage/Foto: Archiv

Wien - Fast 200.000 Videokameras überwachen in Österreich öffentliche Plätze, Banken, Geschäfte und den Straßenverkehr. Die meisten elektronischen Augen sind von privater Hand montiert. Um nicht ins Hintertreffen zu gelangen, will Innenminister Ernst Strasser (VP) nun die strengen Regeln der staatlichen Videoüberwachung - vor allem die automatische Aufzeichnung der Bilder - lockern. Ob damit tatsächlich Kriminalität verhindert werden kann, ist fraglich. "Ausprobieren", empfiehlt der Kriminalsoziologe Wolfgang Stangl. Wer mehr Schutz durch mehr Überwachung verspreche, solle dies vorher in einem empirischen Versuch beweisen.

Am Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie vermisst man generell die Einbindung der Wissenschaften in sicherheitspolitische Fragen. "Sicherheit ist mehr als eine strafrechtliche Unterteilung in richtig oder falsch", meint der Leiter des Instituts, Arno Pilgram. Jede Lösung habe Vor- und Nachteile.

Risikomanagement

Neue Technologien wie die digitale Verarbeitung von Informationen seien ein enormer qualitativer Sprung. Pilgram: "Aber die Frage ist: Welche neuen Risken sind damit verbunden?" Statt falsche Sicherheitsgarantien abzugeben, sollte besser Risikomanagement betrieben werden.

Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis ist auch das Thema einer dreitägigen Tagung der Gesellschaft für Interdisziplinäre Wissenschaftliche Kriminologie, die heute, Donnerstag, im Adolph-Czettel-Bildungshaus in Wien-Wieden beginnt. Wolfgang Stangl referiert über den Zusammenhang zwischen Sicherheit und Wohlfahrtsstaat. "Dass Wien immer noch als eine der sichersten Millionenstädte der Welt gilt, hat zu einem Großteil mit den Leistungen der Kommune zu tun", so Stangl.

Umwelt und Angst

Bei der Beurteilung von Sicherheit sei Kriminalität nur ein Faktor von vielen. Stangl: "Angst wird auch durch Architektur beeinflusst oder durch den Zustand der Umwelt." Trotzdem werde die innere Sicherheit in Österreich, aber auch in Deutschland, hauptsächlich an statistischen Kriminalitätsberichten gemessen, kritisiert Pilgram. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse seien nach wie vor die Ausnahme. Beispiel Schengen und Schlepperkriminalität: Die Beschreibung erschöpfe sich in Aufgriffszahlen und Schlepperrouten. Doch gerade das Kennen sozialer Strukturen würde viele präventive Ansätze bringen.

Nach Ansicht von Pilgram und Stangel stehen seit dem 11. September generell "harte Lösungen" im Vordergrund. Diesen Trend hätten die USA aber schon lange zuvor vorgegeben. Stichwort: Zero Tolerance. (Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe 13.3.2003)