Ende April soll der neue Lehrplan für den Islamischen Religionsunterricht präsentiert werden. Dass er brauchbar sein wird, hält der Islamische Religionspädagoge Ednan Aslan aber schon jetzt für „eine Utopie": An den neuen Lehrplan werde sich kein Lehrer halten, versichert Aslan. Einerseits, weil unter Zeitdruck produziert wird – und andererseits, weil es dieselben LehrerInnen sind, die in den Klassen stehen. Aslan kritisiert, dass weiterhin unqualifizierte LehrerInnen eingestellt werden, und plädiert im derStandard.at-Gespräch dafür, Stellen einfach nicht zu besetzen: „Lieber nichts unterrichten, als etwas Falsches unterrichten. Die Kinder haben nichts davon, wenn sie für Ägypten oder die Türkei erzogen werden."
derStandard.at: Bis Ende des Monats soll der neue Lehrplan für Islamischen Religionsunterricht vorliegen. Was erwarten Sie sich davon?
Aslan: Die Lehrplankommission muss das, was wir in zehn Jahren nicht gemacht haben, in sechs Wochen erledigen. Das ist eine Utopie. Herr Schakfeh (Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anm.) hat es der Frau Bildungsminsterin versprochen. Aber wenn überhaupt, dann wird das ein Lehrplan für Frau Schmied, und nicht für die Schulwirklichkeit.
derStandard.at: Fürchten Sie, dass das Provisorium zur Dauerlösung wird?
Aslan: Wir produzieren Schlagworte wie Toleranz, Dialog – ich kann das schon nicht mehr hören. In der Praxis wird sich niemand daran halten, weil es unbrauchbar ist. Das kann nicht der Wunsch des Ministeriums sein.
derStandard.at: Was wünschen Sie sich vom neuen Lehrplan?
Aslan: Wir sollten die SchülerInnen befähigen, in dieser Gesellschaft mit einer muslimischen Identität zu handeln. Der Religionsunterricht sollte die Kinder nicht mit Theologie belasten.
derStandard.at: Das heißt: Die Kinder lernen keine Suren auf Arabisch, sondern...?
Aslan: ...selbst, wenn ich Suren lernen sollte, stellt sich die Frage: Was kann ich mit dieser Sure? Wozu brauche ich sie? Wenn man die Kinder nur mit Wissen belastet, haben wir nichts erreicht. Dafür brauchen wir keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen – das können die Moscheen besser. Es geht es darum, sich mit einer neuen Heimat zu identifizieren. Hier gibt es Werte, die wir nicht als Last betrachten sollten – nach dem Motto: „Wir müssen das und das tun, sonst werden wir ausgewiesen". Wir müssen dazu beitragen, dass die Kinder diese Werte verinnerlichen.
derStandard.at: Überspitzt gesagt: „Allah will, dass du zu den EU-Wahlen gehst".
Aslan: Zu sagen, „Allah will" – das wäre die Aufgabe der Moschee. „Wählen zu gehen ist meine Verantwortung in der Gesellschaft. Es steht nicht im Widerspruch zu meiner Religiosität" – das wäre die Aufgabe des Religionsunterrichts. Wenn wir wieder damit anfangen, zu sagen, „Gott will", dann haben wir eine gefährliche theologische Position. „Im Namen Gottes" ist es immer schwierig, Grenzen zu setzen.
derStandard.at: Sie stellen es so dar, als gäbe es wirklich einen drastischen Widerspruch zwischen Islamischer Theologie und Demokratie. Wenn aber 80 Prozent der Religionslehrer sagen, sie sähen da keinen Widerspruch – wie passt das zusammen?
Aslan: Ich glaube sogar, dass 90 Prozent der Kollegen keinen Widerspruch sehen. Ich behaupte nur, dass die Theologie da nicht mitkommt. Das heißt, die Menschen sind viel fortschrittlicher als ihre Theologie.
derStandard.at: Wird es im neuen Lehrplan das Kapitel „Der islamische Staat" noch geben?
Aslan: Nein. Es wird auch die Themen Märtyrer, Krieg, Heimatsliebe nicht mehr geben. Gesellschaftliche Werte, Migration und die „neue Heimat" sind Schwerpunkte. Und die Gleichheit von Mann und Frau.
derStandard.at: Wie viel kann ein neuer Lehrplan verändern, wenn die LehrerInnen dieselben sind?
Aslan: Das ist das Problem. Wir können bestimmte KollegInnen weiterbilden, aber Weiterbildung ist nicht Ausbildung. Wir können nur warten, bis bestimmte KollegInnen aufhören zu arbeiten. Und wir müssen die Qualität der Pädagogischen Hochschule (IRPA) verbessern.
derStandard.at: Künftig sollen jene neuen LehrerInnen, die nicht von der IRPA kommen, in Pädagogik und Deutsch geprüft werden. Reicht Ihnen das?
Aslan: Wissen sie, diese Prüfung ist ein Provisorium. Ich denke mir: Lieber nichts unterrichten, als etwas Falsches unterrichten. Die Kinder haben nichts davon, wenn sie für Ägypten oder die Türkei erzogen werden, aber nicht für diese Gesellschaft.
derStandard.at: Was sagt nun eine Religionslehrerin, wenn eine Schülerin sie fragt: Soll ich fasten oder nicht?
Aslan: Sie sollte das Kind befähigen, dass es eigenständig diese Entscheidung treffen kann.
derStandard.at: Das Fasten ist aber eine Säule des Islam.
Aslan: Ja, aber wenn ich merke, dass das Kind leidet, dann kann es nicht Wille Gottes sein. Wenn Sie auf Reisen sind, müssen Sie nicht fünf Mal beten, da reichen drei Mal. Wenn Sie kein Geld haben, müssen Sie keine Pilgerfahrt machen. Es ist eine Voraussetzung in der Lehre, dass man Religion im Kontext immer wieder neu definiert. Ich will keinen Gott, der sich freut, wenn ich leide, und sagt: Oh, toll, wie gut du leidest.
derStandard.at: Sie fordern eine „europäische" Islamische Theologie. Was meinen Sie damit?
Aslan: Viele Muslime meinen, sie sehen keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie. Aber man muss sie konkret fragen: Wenn du irgendwann einen Widerspruch siehst zwischen deiner Religion und Demokratie – wie wirst du dich verhalten? Wie wirst du Homosexualität dulden, wie wirst du eine Mehrheitsentscheidung mittragen? Aufklärung war kein Himmelsgeschenk – daran haben auch die Europäer sehr lange gearbeitet. Dieser Prozess fehlt uns. Ich kann nicht die Gleichheit von Mann und Frau hier befürworten, aber nach Ägypten gehen, und dort die Vielehe unterstützen. Deshalb brauchen wir eine neue Scharia, einen Islam europäischer Prägung. Um zu sagen: Wir denken so, und zwar egal, wo auf der Welt wir uns aufhalten.
derStandard.at: Themenwechsel. Sie stammen aus Anatolien. In Österreich haben Zugewanderte aus Anatolien mittlerweile ein eher schlechtes Image, sie seien seien ungebildet, hinterwäldlerisch, konservativ, heißt es oft. Wie sehen Sie das?
Aslan: Das hat mit Anatolien nichts zu tun. Die iranischen ImmigrantInnen in Bahrain sind Bauarbeiter. In Österreich sind die Iraner die Elite der Immigranten. Anatolien exportiert nicht nur ungebildete Leute. Es ist eine bestimmte Schicht, die nach Österreich gekommen ist.
derStandard.at: Weil diese Schicht angefordert wurde.
Aslan: Genau. Aber zu sagen, „mit denen können wir eh nichts anfangen", ist billig. Die Frage ist: Wie können wir die Bildungschancen der Migranten erhöhen? Man sieht in Nordeuropa, dass es funktionieren kann. Die Anatolier in Finnland erbringen mehr Leistung als die Anatolier in Österreich. Das sollte uns zu denken geben. Wir legitimieren die Faulheit der Politik, wenn wir sagen, „wir haben nicht die besten Migranten." Die besten wollten wir ja nicht. Wir wollten aus der Türkei keine Chirurgen, sondern Bauarbeiter. Das ist das Problem: Sie wollen, dass Bauarbeiter plötzlich operieren können. (Maria Sterkl, derStandard.at, 14.4.2009)