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Foto: Katharina Gruzei

Kostengünstige Produktion: Katharina Gruzeis Atelierplatz in der Klasse für 'Experimentelle Gestaltung' an der Linzer Kunstuniversität (oben). Die Künstlerin beim Retuschieren einer ihrer großformatigen Fotografien in einem stillgelegten Fotolabor in Berlin (Mitte, unten).

Foto: Katharina Gruzei
Foto: Katharina Gruzei
Foto: Katharina Gruzei

Chris, Pasadena und Bonnie, South Central: zwei Arbeiten aus der 2006/2007 entstandenen Portraitserie Working in los Angeles (oben, Mitte). Installationsansicht von LA Work Shift bei der Gewinner-Präsentation des Ö1-Talentestipendiums im MAK.

Foto: Katharina Gruzei

Highspeed in Slowmotion: Auszug aus der Videoinstallation Dialoge I-IV (2007/2008) (oben) und Installationsansicht der Arbeit.

 

Zur Person:
Katharina Gruzei (*1983, Klagenfurt) studiert Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz und setzt sich in ihren Fotografien, Videos und Performances mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander. Zuletzt wurden ihre Arbeiten bei der Ausstellung Totale Partizipation, Radikale Entspannung in der Galerie der IG Bildenden Kunst und bei Aus Gnade und Verzweiflung in der Galerie Charim gezeigt. Gruzei ist Trägerin des Theodor-Körner-Preises, den sie für die Portraitserie Woman and Space erhalten hat. 2008 wurde ihr das Ö1-Talentestipendium verliehen.

Foto: Katharina Gruzei

"Dass sie einmal ein Luxusmedium war," findet Katharina Gruzei spannend an der Geschichte der analogen Fotografie. "Dass sie sich jetzt wieder zu einem solchen zurückentwickelt," veranlasst die junge Künstlerin regelmäßig den gemeinschaftlich genutzen Atelierplatz in der Klasse für Experimentelle Gestaltung an der Linzer Kunstuniversität zu verlassen.

Zuletzt musste sie bis nach Berlin reisen, um dort eine ihrer großformatigen Arbeiten in einem aufgelassenen Fotolabor kostengünstig zu entwickeln - in Eigenproduktion, versteht sich. Trockenschränke, Arbeitstische, nächtelange Retusche und schwere Entwicklungsapparaturen gehören also genauso zum Alltag der Fotografin wie intensive Recherchearbeit: "Ich gehe zuerst von einem Konzept aus," sagt die gebürtige Kärntnerin über ihre eigene Arbeitsmethode: "Dann eigne ich mir das jeweils passende Medium an." Meistens hat dies in irgendeiner Form mit Fotografie zu tun.

Arbeitswelten & Kommunikation

Ein Thema, das sich durch einige von Katharina Gruzeis konzeptuellen Fotografien zieht, ist das Arbeiten: Sei es, indem sie ihre eigene Situation als junge Künstlerin zum Thema macht und sich selbst in ihrer Funktion als Fotografin in die Kunstwerke reklamiert, oder seien es gesellschaftspolitische Aspekte wie die zunehmende Prekarisierung von Arbeitswelten, die sie mit den Bildinhalten anspricht. Während eines länger dauernden Aufenthaltes in den USA im Jahr 2006 hat sie etwa die Videoinstallation L.A. Work Shift - Intersection of Lives and Highways und die Fotoserie Working in Los Angeles realisiert: Für die fotografischen Portraits suchte sie mittels Inseraten nach Menschen, die sie als temporäre Mitfahrerin und Interviewerin auf ihren Wegen zur Arbeit durch die Stadt im Auto begleitete.

"Die Autosituation in den USA", erklärt die Künstlerin ihre Überlegungen zu dieser Portraitserie, "ist extrem isolierend: du triffst niemanden, fährst sogar zum Drive-In-Bankomat, es entsteht keinerlei Kommunikationssituation zwischen Menschen." Sie hält dagegen: "Ohne Auto findet man sich aber als gesellschaftlicher Außenseiter wieder." Am Ende der gemeinsam auf engstem Raum verbrachten Zeit sind schließlich neben einer Videoinstallation Portraits von Menschen in starren Posen entstanden: Eine Schauspielerin, die sich als Clown auf Kindergeburtstagen verdingt oder die Hundefriseurin Bonnie aus South Central, die mit ihrem Van von Haus zu Haus tingelt, finden sich dort genauso, wie der Fotograf und DJ Chris aus Pasadena. Durch Langzeitbelichtung sind sie alle in unnatürlich wirkendes Licht getaucht, sie halten alltägliche und für sie charakteristische Utensilien in der Hand und befinden sich mit ihrem Auto vor ihrem Haus. Katharina Gruzei fängt in einem Einzelbild ein, was sich über Stunden und Tage gemeinsam entwickelt hat.

Partizipation & Blickhierarchien

"Schon aufgrund der Tatsache, dass die Menschen - was die Belichtung betrifft - manchmal bis zu 12 Minuten still halten, bedeutet, dass sie sich wohl fühlen müssen, um an meinen Fotografien auch teilnehmen zu können", sagt Gruzei. Unmittebar vor den Aufnahmen auf Film fertigt sie Polaroids von den geplanten Szenen an und bespricht sie hinsichtlich Dramaturgie und Inszenierung mit den ProtagonistInnen. "Den Machtapparat, den ich als Fotografin - sprichwörtlich - in der Hand halte, möchte ich auch während des Fotografierens zur Verfügung stellen." Gruzei nivelliert das Verhältnis zwischen Fotograf und Fotoobjekt. Sie begibt sich auf gleiche Augenhöhe mit jenen Menschen, mit denen sie arbeitet. Die Polaroids oder Abzüge der Bilder schenkt sie den Modellen nach der Fertigstellung der Serien - das ist Teil ihres demokratischen Konzepts von Fotografie.

Auf die Frage, in welchem Kontext sie ihre Kunstwerke ausgestellt sehen möchte, antwortet Gruzei, als würde ihr das Thema bereits länger auf der Zunge liegen: "Prinzipiell ist mir wichtig, dass ich Situationen schaffen kann, in denen auch die BetrachterInnen zum partizipieren eingeladen werden." Vergangenen Herbst präsentierte die Gewinnerin des Ö1-Talentestipendiums u.a. ihre Foto-Sound-Installation Working in Los Angeles im MAK in Wien. Dort hat sie Autositze installiert, auf denen sich die BesucherInnen mit Kopfhörern die Interviews mit den ProtagonistInnen aus der Portraitserie anhören konnten. "Die Zuschreibungen der einzelnen Interviews zu den parallel dazu präsentierten Fotos passieren hier zufällig," sagt die Künstlerin und erklärt: "Dass die Autositze die BetrachterInnen dazu zwingen, von unten nach oben auf die 'Helden des Alltags' zu schauen, hat damit zu tun, dass ich die Blickhierarchie im Ausstellungsraum brechen wollte." Das Display, in dem ihre Arbeiten gezeigt werden, ist also genauso überlegt wie die Arbeiten selbst: "Ich möchte die BetrachterInnen miteinbeziehen, intellektuell oder emotional - dann erschließen sich die Kunstwerke nicht nur einem elitären Kunstpublikum."

Denkmuster & Grenzziehungen

Mit Wahrnhemungsgewohnheiten spielt Katharina Gruzei auch in der Videoarbeit Diaologe I-IV (2008). Nach strengen dramaturgischen Regeln werden bei dieser Installation vier mit einer Highspeed-Kamera aufgenommene zwischenmenschliche Szenen per Programmierung auf drei Leinwände aufgeteilt. Zu sehen sind zwei Frauen, eine davon die Künstlerin selbst, die in Slowmotion miteinander in Beziehung treten: eine Berührung, eine Ohrfeige, die Protagonistinnen, die sich gegenseitig mit Wasser bespucken oder anschreien. "Ich glaube, dass diese Arbeit sehr viel Projektionsfläche bietet," erklärt die Künstlerin und führt weiter aus, dass es "selbst bei eigentlich 'bildgeschulten' BetrachterInnen passiert, dass dieses Video bekannte Denkmuster einfach wegbrechen lässt." Bereits als Kind entwickelte Gruzei eine gewisse Faszination für das Spiel mit ihren eigenen Sehgewohnheiten. "Damals," erzält sie, "haben wir regelmäßig mit meiner Familie unsere Super-8-Filme angesehen, die ich dann ausschließlich rückwärts oder am Kopf stehend sehen wollte."

Beim Betrachten von Diaologe I-IV entsteht der Eindruck, als hätte die Künstlerin mit Standbildern gearbeitet. Die Bewegungen der beiden Personen sind zum Teil nur minimal und wirken als wären sie eingefroren. Wo die Grenze zwischen den Medien Fotografie und Film/Video liegt, weiß Gruzei nicht. Das ist aber eine Frage, die sie in zahlreichen ihrer Arbeiten beschäftigt: "Ich kann sowohl filmisch in der Fotografie arbeiten als auch fotografisch im Film. Serielle Fotografie, denkt man zum Beispiel an die ersten Experimente von Edweard Muybridge, überführen Bilder der Fotografie in den Film", sagt sie: "Eine Langzeitbelichtung ist aber genauso die Aneinanderreihung mehrerer Momente, also die Dokumentation eines Ablaufs von Zeit."

Kontextualisierung & Wahrheitsdiskurs

Auf die Frage nach Vorbilden lacht die engagierte Künstlerin und meint, dass sie wohl eher nach dem Motto "death of the hero" agiere. Dennoch ist sie sich darüber bewusst, dass man sich beim Betrachten von anderen Kunstwerken ständig selbst kontextualisiert. "Manche Künstler," so Gruzei, "haben bestimmte Techniken oder Ästhetiken gepachtet. Diese Stile sollten gerade deshalb dringend bearbeitet und umbesetzt werden." Sie bezieht sich unter anderem auf den US-amerikanischen Fotograf Gregory Crewdson, der ähnlich wie Gruzei bei Working in Los Angeles mit Langzeitbelichtungen arbeitet. "Auf einer rein visuellen Ebene könnte man unsere Arbeiten vergleichen. Seine Bildinhalte drehen sich aber sehr stark um das Unterbewusste, er lässt Freud einfließen. Ich arbeite in meinem Projekt auf einer politischen Ebene, die einerseits ein Sprachrohr für die ProtagonistInnen sein kann und andererseits Informationen über eine gesellschaftliche Entwicklung anbietet." Die erzeugte Ästhetik hat auch noch eine weitere Bedeutung, die die Künstlerin am "Paradoxon der ausgeträumten amerikanischen Freiheit und Los Angeles als Traumfabrik" festmacht.

"Es wirkt doch bei Fotografie oft so, als würde da niemand dahinter stecken, als hätte sich das Bild selbst generiert. Ich versuche die vermeintlich objektiven Wahrheitsdiskurse, die der Fotografie anhaften, zu untersuchen und somit zu hinterfragen", behauptet Katharina Gruzei abschließend. Sichtkonventionen und daran gebundene, medieninhärente Fragestellungen spielen also eine tragende Rolle. Anhand des "Politischen im Privaten" thematisiert sie sowohl ihren eigenen Blick als Fotografin, als auch jenen der BetrachterInnen ihrer Werke. Sie spürt dabei dem Alltäglichen nach und analysiert zwischenmenschliche Kommunikation auf eine Weise, die fasziniert, zum Teil erschüttert, auf alle Fälle aber berührt. (fair)