Die Bundesregierung muss sich in den nächsten Wochen entscheiden. Knickt sie bei den voraussichtlichen Streiks der Lehrergewerkschaft ein, oder setzt sie die 2007 begonnene Schulreform fort. Wenn man von den Erfahrungen seit 1962 ausgeht, der letzten größeren Veränderung der österreichischen Schule, so ist die Prognose düster: Schulpolitik war seit damals praktisch ident mit der Standespolitik der Lehrergewerkschaften. Als ich 1989 in den Steirischen Landesschulrat kam, gab mir ein bekannter Sektionschef am Minoritenplatz folgende Erkenntnis mit. Für die Inhalte der Bildungspolitik seien bei uns die Kinderfreunde, für alles andere die Gewerkschaften zuständig.

Seither sind es offenkundig nur noch die Gewerkschaften. Das Ergebnis ist bekannt: Wenig motivierte Schüler; Lehrer, die über wachsende Burn-outs klagen; schlechte Ergebnisse bei allen nationalen und internationalen Tests und eine auch sonst fatale Bilanz: 10 Prozent aller Schüler bleiben hierzulande ohne Abschluss, fast ein Drittel landet bei den Pisa-Abfragen am untersten Level (in Finnland 5 Prozent); 21 Prozent der 15-Jährigen können nicht lesen, 40.000 bleiben jährlich sitzen - obwohl die Eltern 150 Millionen Euro für Nachhilfe ausgeben. Dazu kommt, dass die Integration der Migrantenkinder nur noch in Deutschland ähnlich schlecht gelingt. Was Wunder, wenn seit etwa fünf Jahren ein regelrechter Run auf die Privatschulen eingesetzt hat. Die öffentlichen Schulen werden immer uninteressanter.

An all dem sind am wenigsten die Lehrer schuld. Wir wissen, dass österreichische Lehrer im Ausland unter modernen Bedingungen hervorragende Leistungen erbringen. Ja, dass dieses Kunststück sehr vielen von ihnen sogar unter den miserablen Voraussetzungen in Österreich gelingt. Denn die wahre Crux sind unsere jahrhundertealten Schulstrukturen. 

So wurde das längst überholte System der Schulinspektoren bereits von Josef II. 1785 eingesetzt. Die Bezirks-und Landesschulräte stammen aus 1869 und konkurrieren seither um viel Geld mit den Landesschulabteilungen. Österreich ist das einzige Land mit fünf Schulerhaltern, drei verschiedenen Dienst-und Besoldungsrechten und ebenso vielen unterschiedlichen Ausbildungen. Hier versickern Millionen sinnlos, die den Schulen abgehen. Dazu kommt ein einfallsloser Zentralismus, der zur Unverantwortlichkeit erzieht und Lehrer wie Direktoren frustriert. Am ärgsten sind schließlich die Auswirkungen der preußischen Militärschule, die wir gleichfalls 1869 kopiert haben. Von ihr stammen die problematischen Jahrgangsklassen, die 50-Minuten-Stunde, der Nürnberger Trichter und die Fehlersuche bei jedem Schüler anstelle der Förderung seiner Talente und Stärken. 

Hier will vor allem die Neue Mittelschule helfen: Sie ist ein pädagogischer Modellversuch für alle Schulen, bei dem die Kinder und nicht die Lehrer im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Gefördert werden speziellen Begabungen, Interessen und Talente im "team-teaching" , wie umgekehrt allfällige Schwächen nach Möglichkeit kompensiert werden. Im Gegensatz zu den Gymnasien in den Städten, bei denen bis zu einem Drittel aller aufgenommenen Schüler wieder in die Hauptschulen "zurückfluten" , wird in der neuen Pädagogik kein Kind zurückgelassen und kein Schüler gekränkt. 

Im Übrigen bemüht sich Ministerin Schmied um Reformgruppen für jede der zahlreichen Baustellen im österreichischen Schulwesen. Das reicht von der neuen Pädagogik, über ein einheitliches Dienst-und Besoldungsrecht, die gemeinsame Ausbildung aller Pädagogen bis hin zur Verwaltungsreform und zur Einführung einer umfassenden Schulautonomie. Dazu kommen moderne Arbeitsplätze für Lehrer, womöglich in Schulen unter einem Dach, die Verkleinerung der Klassen, und - nach Budgetlage - ein Support-System für Lehrer: Sie sollen durch Psychologen, Streetworker und Spezialisten für gewaltbereite Schüler entlastet werden.
Es ist also - im Gegensatz zu vielen Behauptungen von Gewerkschaftern und Journalisten - jedermann völlig klar, wohin die Reise geht. Auch natürlich in Richtung Ganztagsschule und ganztägiger Anwesenheit aller Lehrer an den Schulen.

In Wahrheit sind es daher diese von der Expertenkommission und Ministerin Schmied immer wieder schriftlich und mündlich vorgetragenen Reformvorschläge, gegen die von den Gewerkschaften gestreikt wird. Nicht gegen die zwei zusätzlichen Stunden oder gar gegen die Art und Weise, wie diese an die Öffentlichkeit gelangten. Das ist nur vorgeschoben. 

Tatsächlich steht Österreich an einem Scheideweg: Zieht die Regierung wieder einmal den Schwanz ein und bleibt alles beim Alten - oder wird der ganze Strauß der Reformvorschläge endlich verwirklicht. Und zwar gleichzeitig, weil wir sonst alle alt und grau sind, bis unser Land die internationalen Standards moderner Schulen erreicht hat. (Bernd Schilcher, DER STANDARD, Printausgabe, 31.3.2009)