War Helmut Zilk ein "Informator" ? Was unterscheidet einen solchen von einem Agenten oder einem Spion? Nachdem binnen eines Tages ganz überraschend der Akt der österreichischen Geheimpolizei über Zilks Verbindungen zum Geheimdienst der Tschechoslowakei aufgetaucht ist, sind erst recht alle relevanten Fragen offen. Der aus einem Deckblatt und zwei Seiten bestehende Akt ist keine Hilfe für die Aufklärung der seit Jahren kursierenden Vorwürfe, dass der frühere Wiener Bürgermeister Informant des tschechoslowakischen Geheimdienstes gewesen sein soll.

Diejenigen, die behaupten, Zilk habe für den tschechischen Geheimdienst gearbeitet, können sich bestätigt sehen, denn es steht schwarz auf weiß: "Dr. Zilk, Direktor des Österr. Fernsehens, ist kein Agent, sondern lediglich Gesprächspartner auf dem politischen Sektor." Für andere ist mit dem Satz "Zilk wußte, daß seine Gesprächsäußerungen in den Kanal des csl. Nachrichtendienstes flossen" der Beweis erbracht, dass der damalige ORF-Journalist wusste, wem er was lieferte. 

Nach Erscheinen des profil, in dem erstmals Quittungen gezeigt worden sind, die auf eine Bezahlung Zilks schließen lassen, hatten sich viele rasch ein Urteil gebildet: Die Boulevardmedien, allen voran die Kronen Zeitung, die schon am Montag wusste: "Vorwürfe gegen Zilk haltlos." Zilk war jahrelang Ombudsmann der Kronen Zeitung. Frühere Kollegen und Mitarbeiter wie Kurt Scholz ergingen sich in Beschimpfungen statt Erklärungen. Die Witwe Dagmar Koller gerierte sich als Art "Gedenkdomina" , indem sie im TV mit Kreuz und Kerze einen aufsehenerregenden Auftritt inszenierte und damit einmal mehr den Beweis antrat, dass Österreich ein Operettenstaat ist.
Auf politischer Seite fielen die Reaktionen ebenfalls wie erwartet aus: SPÖ-Politiker machten die Mauer, Politiker anderer Parteien forderten Aufklärung und meinten, sie hätten es eh schon immer gewusst. 

Was dran ist an den Vorwürfen? Das konnte bisher niemand wirklich klären. Es kommen täglich neue dazu: Dass Zilk Doppelinformant gewesen sei, auch für die CIAgearbeitet habe oder erpresst worden sei. Um alle Anschuldigungen prüfen zu können, muss die Diskussion versachlicht werden. Alle Akten müssen auf den Tisch. Eine Historikerkommission, der Experten aus Österreich, Tschechien und der USA angehören, soll sich auf die Suche machen, das verfügbare Material zusammentragen und Zeitzeugen befragen. Wissenschafter arbeiten anders als Journalisten und haben Erfahrungen mit verschiedenen Arten von historischen Quellen. Sie können auch das Umfeld ausleuchten, Vergleiche anstellen, ob Informationen geliefert wurden, die in den Sechzigerjahren ohnehin tagesaktuell verfügbar waren, oder ob mehr preisgegeben wurde. Das alles kann nur eine Historikerkommission leisten. Zilk kann nicht mehr reden.

Auf dem Prüfstand steht nicht Zilks politisches Wirken, seine Verdienste um die Stadt Wien sind davon nicht berührt. Es geht schlicht um die Frage, ob der leutselige Zilk unter anderem auch mit einem Mitarbeiter des Geheimdienstes geplaudert hat oder ob er bewusst Informationen geliefert hat. Zu klären ist auch, ob der tschechoslowakische Geheimdienst tatsächlich Geld für Zilk ausgegeben hat, der normalerweise keines finanziellen Anreizes bedurft hatte, um zu reden.
Es geht um den Umgang mit dem Mythos Zilk, der zu Lebzeiten nicht nur Kultcharakter hatte, sondern inzwischen auf einer Stufe mit Bruno Kreisky, Herbert von Karajan und Andreas Hofer steht, über die man tunlichst nichts Schlechtes sagen darf. In Österreich gibt es aber sofort reflexartige Reaktionen: An Ikonen darf nicht gekratzt werden. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD-Printausgabe, 26. März 2009)