Julya Rabinowich erhält den Debüt-Preis.

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Rauris - Mit einer Farbe beginnt Julya Rabinowichs Roman "Spaltkopf", mit großem Tempo - und mit einer Reise: "Galliges Grün überall: Wasser, Himmel, Küstenstreifen, farblich darauf abgestimmt: ich, die sich recht cool findet. Ich mache eine Reise. Ich befinde mich an Bord einer Fähre, die soeben Irland Richtung Schottland verlässt. Ich bin schwanger und glaube fest, dass ich draufgängerisch aussehe."

Wie entschlossen die schwangere junge Frau solche Coolness dem Leben abtrotzt, kann wenige Zeilen weiter erahnt werden, wenn, mit Blick auf Irlands Küste, von einer anderen Reise die Rede ist: "Abgebissen wirkt der Küstenstreifen, man kann die Schichten seines Fleisches gut erkennen. Abgebissen fühle ich mich auch, denn das Land, aus dem ich kam, hängt nicht an mir und ich nicht an ihm. Keine Fasern verbinden mich mehr damit." 

Julya Rabinowich wurde 1970 in Leningrad als Tochter einer russisch-jüdischen Künstlerfamilie geboren. Als sie sieben war, bestieg die Familie, wie sie in manchem Interview erzählt hat, nach wochenlangem Kofferpacken das Flugzeug. Die Sommerreise nach Litauen, von der dem Kind erzählt worden war, entpuppte sich als Flug ohne Rückkehr. Landung in Wien mit dem Auftrag, glücklich zu werden im neuen unvertrauten Leben.

Der Aufbruch, der zugleich ein Abbruch ist, findet sich wieder in Spaltkopf. In stark rhythmisierten, bildreichen Sätzen erzählt Julya Rabinowich die Geschichte einer Orientierung in der Fremde, die auch ihre sein könnte. 

Der Spaltkopf, "der sich von den Gedanken und Gefühlen anderer ernährt" , ist wohl nicht nur ein Ungeheuer aus der russischen Märchenwelt, er ist auch Bild für den Menschen mit zwei unvereinbaren Existenzen. Vielleicht auch Kopf einer Autorin. Einer Autorin, die ursprünglich, wie ihre Eltern, Malerin werden wollte. Die an der Angewandten Malerei studierte. Um zu entdecken, dass ihre künstlerische Sprache eine andere sein musste als die ihrer Familie. Dass jener Bruch auch in der Wahl der Mittel nach Ausdruck verlangte. Dass sie Küstenstreifen und Farben auf andere, auf ihre Weise malen würde. In deutschen Worten.

Sprache: Lust. Spiel. Wut

Heute Abend erhält Julya Rabinowich für "Spaltkopf" den Rauriser Literaturpreis, mit dem jedes Jahr zum Auftakt der Rauriser Literaturtage die "beste deutschsprachige Prosa-Erstveröffentlichung" ausgezeichnet wird. Die 39. Folge der von Brita Steinwendtner seit langen Jahren mit Hingabe und Ideenreichtum geleiteten Literaturtage steht denn auch unter dem Motto "Sprache: Lust. Spiel. Wut" .

Brita Steinwendtner lädt bis zum Sonntag Autoren in das Salzburger Bergdorf, die mit der Welthaltigkeit der Worte just dort experimentieren, wo die schmalen Pfade der sogenannten realistischen Abbildung äußerer Realität auszufransen beginnen. Wo die grenzenlose, grenzenauflösende Reise der Literatur einsetzt. Der leise, beharrliche Aufbruch in die (eigene) Fremde. In einer Sprache, die ihre Unabhängigkeit wahrt, die dem eigenen Atem, den eigenen Bildern, Fantasien, Assoziationen vertraut.

Peter Waterhouse wird in Rauris lesen und an einem der alljährlich wiederkehrenden Höhepunkte des Festivals teilnehmen, dem "Gespräch über Kindheit". Gemeinsam mit Friedrich Achleitner und Lukas Resetarits. Josef Winkler wird in Rauris lesen, Elfriede Gerstl, Herbert J. Wimmer, Ferdinand Schmatz und Werner Kofler reisen in die Berge. In das Grün. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 25.03.2009)