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Tod durch Ersticken: Bis zu 10.000 türkische Männer, die mit Sandstrahlgeräten den Stone-washed-Look von Jeans erzeugen, sind gefährdet.

Foto: Archiv

Der Mann sieht unendlich müde aus. Schwarze Ringe unter den Augen, ein resigniertes Schulterzucken auf die Frage, ob er einen harten Tag hinter sich hat. "Ja natürlich", antwortet Zeki Kilicaslan, "gerade erst musste ich wieder eine Familie mit einem todkranken Jungen wegschicken, in ein Spital für Lungenkranke. Damit er dort offiziell registriert wird. Mehr konnte ich nicht tun."

Professor Kilicaslan ist einer der führenden Lungenspezialisten der Türkei und arbeitet am Istanbuler Universitätskrankenhaus. Die riesige Spitalsanlage in Istanbuls Zentrum zählt zu den besten Adressen im türkischen Gesundheitssystem, doch Kilicaslan leidet darunter, dass er den meisten seiner Patienten nicht helfen kann. Er gehört zu den wenigen Medizinern des Landes, die gegen eine Katastrophe ankämpfen, die von offizieller Seite schlicht und einfach ignoriert wird.

Es geht um junge Männer, die nach der Reihe an einer tückischen Lungenkrankheit sterben. Gefährdet sind nach Schätzung von Kilicaslan bis zu 10.000 Menschen, seine Kollegin Elif Reyhan Han, von der Klinik für Berufskrankheiten in Ankara geht sogar von 20.000 potenziellen Fällen aus. Die jungen Männer haben alle eines gemeinsam: Sie haben sich in den letzten Jahren in kleinen, zumeist illegalen Firmen anheuern lassen, um dort mit einem Sandstrahlgerät fabrikneue Jeans auszubleichen, um ihnen den Anschein der lässigen Stone-washed-Jeans zu geben, die gut aussehen und sich beim Tragen geschmeidig anfühlen.

Dieser Job wird meist in Kellern in den armen Vororten Istanbuls erledigt. Nur mit einem Tuch vor dem Mund bearbeiten zwischen 17 und 20 Jahre alte Jugendliche mit einem extrem harten Sandstrahler die neuen Jeans. Unter dem hohen Druck aus dem Sandstrahler werden Siliziumpartikel freigesetzt, die an der Luft auf Sauerstoff reagieren und sich in Quarz verwandeln. Dieser setzt sich in der Lunge fest und führt dazu, dass sich das Gewebe vernarbt und zusammenzieht. Die Folgen davon sind Atemnot, schwerer Husten, Erbrechen und zuletzt der Tod durch Ersticken.

Es gibt keine Therapie

Eine Therapie dagegen gibt es nicht, kein Medikament und auch kein Sanatoriumsaufenthalt kann helfen. Die einzige Lösung ist eine Lungentransplantation: eine Behandlung, die in der Türkei erst vor zwei Wochen das erste Mal durchgeführt wurde.

Die Betroffenen sind junge Leute, die aus den Dörfern Ostanatoliens nach Istanbul kommen, weil sie von Verwandten oder Freunden gehört haben, sie könnten beim Jeans-Bleichen gutes Geld verdienen. Knapp 300 Euro schwarz auf die Hand sind für die Burschen aus armen Bauernfamilien tatsächlich eine Menge Geld. Dass sie sich dafür mit hoher Wahrscheinlichkeit eine tödliche Krankheit einhandeln, wissen die meisten nicht.

Von den rund 10.000 Männern, die in den letzten Jahren in den Sandstrahlfirmen gearbeitet haben, wird wohl die Hälfte sterben, schätzt Kilicaslan. Ob jemand die Krankheit überlebt, sei eine genetische Frage. In seinem Büro stapeln sich die Krankenakten. Auf seinem Computer hat er den tödlichen Krankheitsverlauf etlicher Personen dokumentiert.

"Dass Zwanzigjährige sterben, damit andere Zwanzigjährige gebleichte Jeans kaufen können, ist wirklich deprimierend", sagt Kilicaslan und schüttelt seinen Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. "Dabei wäre das leicht zu verhindern. Man muss nur die Jeans-Behandlung mit Sandstrahlern verbieten und die kleinen illegalen Ateliers schließen."

Behörden schauen weg

Der Arzt und einige Kollegen fordern dies beim Arbeitsministerium schon seit Monaten. Doch bislang drücken die Behörden beide Augen zu. Höchstens ein Dutzend der illegalen Ateliers wurde vergangenes Jahr gesperrt, die linke Zeitung Evrensel schätzt, dass es rund tausend gibt. Die Textilindustrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes: "Alle großen, auch internationalen Jeansmarken lassen in den illegalen Firmen arbeiten", sagt Kilicaslan. "Natürlich nicht direkt, sondern durch Subunternehmer der Subunternehmer. Das läuft über vier oder fünf Stationen und ist dann kaum nachzuweisen", erläutert der Doktor.

Ein Solidaritätskomitee, in dem auch Kilicaslan mitarbeitet, versucht es nun dennoch: Ein Anwalt bereitet eine Klage vor, mit der die Jeansproduzenten gezwungen werden sollen, ihre Abrechnungsbücher offenzulegen. Das Komitee hofft auf einen Erfolg, weil der öffentliche Druck wächst, nachdem in einer Zeitung ein Brief eines betroffenen Jungen veröffentlicht worden ist.

"Neben einem Verbot des Sandstrahlens brauchen wir auch einen Fonds, der die Kranken wenigstens finanziell ein wenig unterstützt", sagt Kilicaslan. Solange die Regierung und die Industrie sich weiter taub stellen, sammelt das Komitee auf eigene Faust Spenden, um wenigstens in den schlimmsten Fällen helfen zu können. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD-Printausgabe, 24.3.2009)